Von Suura 4 "Die Frauen" Aja 24 - 147

 

24. Und (verboten sind euch auch) die Unbescholtenen unter den Frauen, mit Ausnahme derer, die ihr besitzt59 Eine Vorschrift Allahs (für euch. Und davon abgesehen ist euch erlaubt, dass ihr mit eurem Vermögen (Ehefrauen zu erlangen) sucht, in Keuschheit und nicht in Unzucht.60 Und für (die Annehmlichkeiten) die ihr an ihnen genossen habt, gebt ihnen (als Entschädigung) die vor­geschriebene Morgengabe.61 Und es ist kein Vergehen (für euch, wenn ihr euch nach Aussetzen der Morgengabe (anders) einigt.62 Wahrlich, Allah ist wissend, weise.63

59. Der Begriff "Al-Muchsenaa" الْمُحْصَنَا bedeutet wörtlich "eine Frau, die (gegen Unkeuschheit) gefestigt ist". Dies hat wiederum drei Bedeutungen:

1) "eine verheiratete Frau",

2) "eine keusche Frau", und

3) "eine freie Frau". Nach Ansicht fast aller Gelehrten bedeutet "Al-Muhsanat" im obigen Zusammenhang "verheiratete Frauen".

(wörtl:) "Die eure Rechte besitzt": das heißt Gefangene im Dschihaad, dem Kampf unter der Führung eines gerechten Imam gegen diejenigen, die den Islam bedrohen. In solchen Fällen lösen die Feindseligkeiten zwischenmenschliche Bindungen auf. (Juusuf 'Allii)

Wenn die Beziehungen der weiblichen Kriegsgefangenen zu ihren kaafir Ehemännern im Dar-ul-Harb abgeschnitten sind, gelten sie nicht als verheiratete Frauen, und es ist erlaubt, sie zu heiraten, nachdem man sich vergewissert hat, dass sie nicht schwanger sind. Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass die Muslime ihre Gefangenen immer mit Respekt ihrer Menschlichkeit gegenüber behandelt haben. (Qutb)

Die Kommentatoren, die obige Ansicht vertreten, gehen davon aus, dass man eine Sklavin heiraten kann ohne Rücksicht darauf, ob sie in ihrem Ursprungsland einen Ehemann hat oder nicht. Ganz abgesehen von den grundlegenden Meinungs­verschiedenheiten selbst unter den Sahaba vertreten einige der bekanntesten Kommentatoren die Ansicht, dass "maa malakat aimaanukum" مَا مَلَكَتْ أَيْمَانُكُمْ hier bedeutet "Frauen, die durch die Ehe euer sind", so z.B. Rasi, der darauf hinweist, dass sich jeder Aja an die Erwähnung der verbotenen Verwandtschaftsgrade anschließt und das Verbot sexueller Beziehungen zu allen Frauen außer der eigenen Ehefrau betonen soll. (Asad)

60. Nach der Definition der verbotenen Verwandtschaftsgrade besagt dieser Aja weiter, dass alle nicht aufgeführten Frauen geheiratet werden dürfen, aber selbst dann nicht des bloßen Lustgewinnes wegen, sondern um zwischen den Geschlechtern die Keuschheit zu fordern. "Heirat" wird hier mit jenem Ausdruck bezeichnet, der im ursprünglichen Arabisch an "Festung" (hisn) erinnert: die Institution der Ehe ist sozusagen eine Festung der Keuschheit. (Juusuf 'Allii)

Zur Eheschließung gehört die juristisch angemessene Form mit allen ihren Erfordernissen mindestens zwei Zeugen, gegenseitiges Einverständnis und die Absicht zu einer dauernden Bindung. (Siddiqi)

Die Institution der Ehe erlaubt sexuelle Beziehungen von Mann und Frau zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts und zur Förderung von Liebe und Einigkeit zwischen den Partnern. Die Heiligkeit der Ehe gehört zu den Grundzügen der islamischen Rechtsprechung. "Wirkliche Befriedigung," sagt ein amerikanischer Beobachter, "kommt nicht von bloßer sexueller Erfahrung, sondern von einer dauerhaften Beziehung, die auf Liebe, Hingabe und Zärtlichkeit aufgebaut ist." (Darjabaadi)

61. Da in der Ehe die Frau ihre Person hingibt, muss auch der Mann (außer einem Teil seiner Unabhängigkeit) zumindest, entsprechend seinem Vermögen, etwas von seinem Eigentum hingeben. Darauf ist das Gesetz der "Brautgabe" begründet. Ein Mindestmaß für die Brautgabe ist vorgeschrieben, aber man braucht sich nicht mit diesem Mindestmaß zu begnügen, und bei der Schaffung einer neuen Gemeinschaft wird den Partnern empfohlen, sich gegenseitig Vertrauen und Großzügigkeit zu erweisen. (Juusuf 'Allii)

62. Indem man die Morgengabe erhöht, vermindert oder ganz absetzt. (Al-Manar)

63. Diese beiden Attribute Allahs werden hier erwähnt, um die Menschen daran zu erinnern, dass sie ihre Motivationen und Absichten zwar vor Menschen verbergen können, Allah diese aber sehr wohl kennt. Gleichzeitig sollten sie bedenken, dass alle diese Gebote und Anordnungen nicht von einem Willkürherrscher stammen, sondern von einem all weisen Herrn, Der sie Seiner unendlichen Weisheit entsprechend angeordnet hat. (Siddiqi)

 

25. Und wer von euch nicht die Mittel hat, um freie, unbescholtene, mu’min Frauen zu heiraten, der (heirate jene) unter den mu’min Mägden, die euch gehören.64 Und Allah kennt euren Imaan am besten.65 Die einen von euch sind von den anderen.66 Und heiratet sie mit Erlaubnis ihrer Angehörigen. Und gebt ihnen ihre Brautgabe auf angemessene Weise.67 Sie sollten keusch sein, nicht Unzucht treiben und sich keine Liebhaber nehmen.68 Und wenn sie (durch Heirat) frei geheiratet haben und sich dann einer Unsittlichkeit schuldig machen, dann soll ihnen nur die Hälfte der Strafe zuteil werden wie freien, verheirateten Frauen.69 Dies gilt für den unter euch, der fürchtet, sich zu versündigen. Und dass ihr Geduld übt ist besser für euch.70 Und Allah ist ver­zeihend, barmherzig.

64. Der Ausdruck "lam jastat twlan"  wird oft als "er kann sich nicht leisten" verstanden, das heißt in finanzieller Hinsicht. Aber Muchammed Abduh spricht sehr überzeugend die Ansicht aus, dass sich dies auf alle Arten hinderlicher Umstände bezieht, seien sie materiell, persönlich oder gesellschaftlich. (Asad)

Dies bezieht sich auf Kriegsgefangene im Dschihaad, vergleiche oben Aja 24. "Eure Rechte" bedeutet nicht unbedingt, dass man selbst sie besitzt. Alle Kriegsgefangenen gehören der Gemeinschaft, in diesem Sinne sind sie "euer". Wenn man eine solche Person heiratet, soll man dies nicht aus niedrigen Beweggründen tun. Wahre deinen Imaan, und achte dar­auf, dass auch sie mu’min ist. Sie gehört jedenfalls der Menschheitsfamilie an, und ihre Situation ist gegebenheitsbedingt und nicht endgültig. Wenn eine Sklavin ihrem Herrn ein Kind gebar, wurde sie (spätestens nach seinem Tode -d. Übers.) frei. Im wahren Geiste des Islam ist die Sklavin heute überholt, aber es gibt andere Situationen, in denen die Freiheit einer Frau (oder eines Mannes) eingeschränkt ist, und das Prinzip ist auch darauf anwendbar. (Juusuf 'Allii)

65. Da alle Menschen, ungeachtet ihres "sozialen Status" –der selben Menschheitsfamilie angehören und daher vor Allah gleich sind (vergleiche auch Suura 3: 195), unterscheiden sich die Menschen lediglich durch die Stärke und Schwäche ihres Imaans. (Asad)

Allah allein weiß, wessen Imaan stark ist und wessen Imaan schwach ist. Daraus wird deutlich, dass eine Sklavin unter Umständen Allah näher stehen kann als ihr freier Ehemann. Dies sollte man beachten und nicht Sklavinnen und Sklaven gering achten. (Darjabaadi)

66. Siehe auch Fußnote 330 zu 3: 195. (anm. d. Übers.)

67. Der Qur’an nennt diejenigen, in deren Besitz sie sind, nicht, "Besitzer" sondern Angehörige und er bestimmt die Brautgabe für die Frau und nicht für ihren Herrn, und macht sie so zum Recht der Sklavin. Aus diesem Grunde fallt die Brautgabe aus der Grundregel heraus, dass ihr Verdienst ihm gehört. Die Brautgabe ist kein Verdienst, sondern ein Recht, das ihr zusteht, wenn sie sich mit einem Mann bindet.

Hier wird Rücksicht auf die Menschenwürde dieser Frauen gefordert, die ohnmächtig ihrer gegenwärtigen Situation ausgeliefert sind. Im Gegensatz zu der Zeit der Unwissenheit, als die Sklaven ihrer Rechte und ihrer Menschenwürde beraubt wurden, zeigt sich hier die ganze Reichweite der islamischen Gesetzgebung, ihnen diese Menschenwürde zu garantieren. (Qutb)

Die Brautgabe ist den Sklavinnen ebenso zu zahlen wie den freien Ehefrauen, auf die vorgeschriebene, ehrenhafte Weise, nicht wie ein unehrenhaftes Entgelt. (Darjabaadi)

68, Wörtlich: "und nicht, indem sie sich heimliche Liebesgefährten nehmen", Dieser Satz legt eindeutig fest, dass sexuelle Beziehungen zu Sklavinnen nur im Rahmen der Ehe erlaubt sind und in dieser Beziehung kein Unterschied zwischen ihnen und freien Frauen besteht. Folglich ist Konkubinat ausgeschlossen. (Asad)

69, Der schwächere soziale Status einer Sklavin setzt sie offensichtlich mehr der Versuchung aus als eine freie Frau. (Asad)

 Dies bezieht sich auf die Bestrafung durch Schläge. Wenn eine mu’min Sklavin Ehebruch begeht, erhält sie die Hälfte der Strafe, die für eine unverheiratete freie Frau vorgesehen ist. Über die Bestrafung einer unverheirateten Sklavin waren die Gelehrten einig, ob sie dieselbe sein soll, nämlich die Hälfte der für die unverheiratete freie Frau vorgesehene, und ob der Imam der Gemeinschaft dafür zuständig ist, oder ob es lediglich ein Disziplinarverfahren sein soll, für das ihr Besitzer zuständig ist. Ausführliches darüber ist in den Fiqh-Werken nachzulesen. (Qutb)

70. Abgesehen von der Ermahnung, in der Sexualität Selbstbeherrschung zu üben, scheint der Qur’an Ehen mit Sklavinnen nicht zu empfehlen -offensichtlich mit der Absicht, eine Hauptattraktion der Sklaverei zu unterbinden und auf diese Weise ihre Abschaffung zu fördern. (Siddiqi)

Allah will Seine Diener nicht in Bedrängnis bringen und ihnen keine Last auferlegen und sie nicht in der Versuchung ausset­zen. Dies soll zu ihrer Würde und zum Wetteifer in ihre Strebens beitragen, alles im Rahmen ihrer menschlichen Natur, ihrer latenten Fähigkeiten um ihrer wirklichen Bedürfnisse. Auf diese Weise erleichtert Allah den Menschen ihren Weg. (Qutb)

Abschnitt 5

26. Allah will euch (Seine Weisheit) klarmachen und euch auf dem Weg derer, die vor euch waren,71 recht leiten. Er will Sich euch (gnädig) wieder zuwenden. Und Allah ist wissend, weise.

71. Allah will euch Seine Weisheit enthüllen, und Er will, dass ihr diese Weisheit sehen und darüber nachdenken könnt, so dass ihr mit offenen Augen, Verstand und Herzen auf sie zugeht. Denn ihr seid befähigt, sie zu begreifen, wenn sie euch dargelegt wird. Und dies ist eine Ehrung des Menschen. Dieser Weg ist der Weg Allahs, den Er für alle Mu’mins vorge­schrieben hat. Es ist der Weg, der in seinen Wurzeln feststeht, in seinen Grundsätzen vereinigt ist, und dessen Zielsetzungen beständig sind. Dies ist der Weg aller Mu’mins in der Vergangenheit und in der Zukunft. (Qutb)

Der letzte Teil des Ajas weist auf alle echten religiösen Lehren in der Vergangenheit hin, die danach streben, eine Harmonie zwischen der physischen Natur des Menschen und den Bedürfnissen seines Geistes zuwege zubringen -eine Harmonie, die zerstört wird, sobald Askese als einzige Alternative zur Zügellosigkeit gefordert wird (vergleiche Suura 2:143 und Fußnote 274). Dieser Hinweis ist mit der Erörterung der Sexualmoral im vorherigen Abschnitt verbunden. (Asad)

 

27. Und Allah will Sich euch (gnädig) wieder zuwenden. Doch diejenigen, die ihren Begierden folgen wollen, dass ihr ganz und gar (vom rechten Weg) abweicht.72

72. Dieser Aja enthüllt kurz gefasst etwas von der Wahrheit, zu der Allah die Menschen durch Seinen Weg leiten will, und er zeigt, wohin es führt, den eigenen Launen und Gelüsten zu folgen und von Allahs Wegen abzuweichen -denn wer von Allahs Wegen abweicht, der folgt den eigenen Gelüsten. Es gibt jedoch nur einen einzigen Weg zu Allah, der von Ernsthaftigkeit, Geradheit und Verantwortlichkeit bestimmt ist. (Qutb)

Die Heuchler und die Unwissenden sowie die Juden in den Vororten von Medina hatten es sich zum Ziel gesetzt, die Muslime vom rechten Weg abzubringen. Erstere zwei Gruppen widersetzten sich entschieden den Änderungen, die an ihren jahrhundertealten Sitten und Bräuchen vorgenommen wurden. Sie waren gegen 

a) den Anteil der Töchter an der Erbschaft,

b) die Befreiung der Witwen von den durch die Familie ihres Mannes auferlegten Einschränkungen,

c) die Freiheit der Witwen, nach Ablauf ihrer Wartezeit Männer ihrer eigenen Wahl zu heiraten,

d) das Verbot, die Stiefmutter bzw. zwei Schwestern gleichzeitig zu heiraten. Sie wandten sich gegen die Reform der Adoptionsregeln, die den Anteil eines Adoptivsohns am Erbe ausschloss und das Eheverbot mit ihren geschiedenen Frauen oder Witwen aufhob. (Mauduudi)

 

28. Allah will es euch leicht machen,73 denn der Mensch ist (ja) schwach erschaffen.

73. Allah will dem Menschen nicht nur Güte erweisen, sondern auch seine Last erleichtern. (Darjabaadi)

Das heißt, durch Seine Rechtleitung will Er alle Möglichkeiten des Konflikts zwischen dem Geist des Menschen und seinen körperlichen Regungen unterbinden und eine Lebensweise aufzeigen, in der diese beiden Elemente der menschlichen Natur harmonisch miteinander verbunden und voll entfaltet werden können. (Asad)

 

29. O die ihr den Imaan verinnerlicht habt! Bringt euch nicht gegenseitig in betrügerischer Art und Weise um euer Hab und Gut,74 sondern treibt Handel im gegenseitigen Einvernehmen.75 Und tötet nicht euch selbst.76 Wahrlich, Allah ist barmherzig gegen euch.

74. Wörtlich: "Eigentum durch Betrug fressen", das umfasst alle Arten des Güteraustauschs unter den Menschen, die von Allah nicht erlaubt oder gar verboten sind, darunter Betrug, Bestechung, Spekulation, Preistreibende Monopolgeschäfte mit lebensnotwendigen Gütern sowie sämtliche Arten des verbotenen Handels und insbesondere Wucher. (Qutb)

75. "Gegenseitiges Einvernehmen" bedeutet, dass Geschäftsvorgänge nach vorheriger Vereinbarung abgeschlossen werden sollen, nicht durch Erpressung oder Betrug. Es ist zum Beispiel offensichtlich, dass, obwohl im Falle von Wucher und Bestechung ein gegenseitiges Einverständnis vorliegt, der bedürftige Geschäftspartner durch sie Umstände gezwungen ist, auf ein solches Geschäft einzugehen. Ähnliches gilt für alle Transaktionen, bei denen Betrug im Spiel ist: der Betrogene ist einverstanden auf Grund des Missverständnisses, es handle sich um ein ehrliches Geschäft. Wüsste er, dass er betrogen werden soll, so wäre er niemals einverstanden. (Mauduudi)

76. Ich möchte diesen Aja umschreiben, denn darin liegt eine tiefe Bedeutung.

1) Euer gesamtes Eigentum ist ein euch anvertrautes Gut, ob es euch persönlich gehört oder der Gemeinschaft oder Menschen, für die ihr verantwortlich seid. Es ist unrecht, es zu Verschwenden.

2) In Suura 2: 188 findet sich derselbe Ausdruck, um uns vor Habgier zu warnen. Hier erscheint er, um uns zu ermutigen, unser Vermögen durch Handel und Gewerbe zu vermehren, ganz wie in dem Gleichnis in Matth. 25: 14-30, wo die Knechte, die das Vermögen ihres Herrn vermehrt hatten, belohnt wurden, der Knecht aber in die Finsternis hinausgeworfen wurde, der es gehortet hatte.

3) Wir werden davor gewarnt, dass Verschwendung unseren eigenen Untergang herbeiführt ("tötet bzw. zerstört nicht euch selbst!"). Aber hier liegt auch eine allgemeine Bedeu­tung: wir müssen mit unserem Leben und dem unserer Mitmenschen sorgfaltig umgehen. Wir dürfen keine Gewalttaten verüben. Dies wäre das genaue Gegenteil zu "Handel und Gewerbe und gutem Willen".

4) Gewalt gegenüber unseren Mitmenschen ist besonders abscheulich, wenn wir sehen, dass Allah uns und alle Seine Geschöpfe liebt und mit Gnadenge­schenken überschüttet. (Juusuf 'Allii)

Hier wird auch Selbstmord in jeder Form verboten. Der Begriff "anfusakum" أَنفُسَكُمْ kann auch kollektiv Verstanden werden; in diesem Fall würde übersetzt: "Tötet euch nicht gegenseitig". Dies erklärt dann das Leben des Mu’mins als ebenso unverletzlich wie sein Eigentum im vorigen Teil des Ajas. (Darjabaadi)

"Tötet euch nicht selbst" steht unmittelbar nach dem Verbot unrechtmäßigen Umgangs mit dem Eigentum. Dies wurde offenbart, um den direkten Zusammenhang aufzuzeigen, wie nämlich den Erwerb von Besitz durch Betrug im Leben einer Gemeinschaft deren Untergang verursacht: es ist gleichbedeutend mit Töten. Allah verbietet dies weil Er sich der Mu’mins erbarmen und sie schützen will. (Qutb)

Die kriminelle Mentalität, die einen Verbrecher zu Eigentumsdelikten veran1aßt, führt auch dazu, sich gegen das Leben anderer Menschen und -in einem Anfall von Wahnsinn -selbst gegen das eigene Leben zu vergehen. (Siddiqi)

 

30. Und wer dies in Übertretung und zu unrecht tut,77 den werden Wir der Feuerglut aussetzen. Und dies ist für Allah ein Leichtes.

77. Das heißt, wer dies mit bewusster krimineller Absicht tut, nicht durch Irrtum oder Fehleinschätzung. (Darjabaadi)

 

31. Wenn ihr euch von den schlimmsten Sünden, die euch untersagt sind, fernhaltet.78 Werden Wir euer Vergehen vergeben und euch eingehen lassen in einen ehrenvollen Ort

78. Was sind die großen Sünden? Uns sind Hadiise überliefert, die einige Arten von ihnen, aber nicht alle, aufzählen. In jedem dieser Hadiis wurden große Sünden erwähnt, die eine aktuelle Gegebenheit behandelten. Es ist nicht schwer für den Muslim, diese "schlimmen" Sünden zu erkennen, auch wenn ihre Zahl und ihre Art von Milieu zu Milieu und von Generation zu Generation sich unterscheidet.

Es gibt keine feststehende Regel zur Unterscheidung von großen Vergehen und geringfügigen. Selbst eine kleine Sünde, die in bewusstem Trotz gegen Allahs Gebot begangen wurde, wird zu einer großen. Mauduudi hat in diesem Zusammenhang wichtige Beobachtungen gemacht. Er vertritt die Ansicht, dass jede Tat, durch welche die Rechte Allahs, der Eltern oder anderer Menschen und sogar die eigenen Rechte verletzt werden, eine große Sünde ist. Darüber hinaus sind alle Taten große Sünden, welche die Verbindung der Einigkeit und Integration zerstören, auf der, der Friede im menschlichen Leben beruht. (Siddiqi)

 

32. Und begehrt keinesfalls das, womit Allah den einen von euch bevorzugt hat vor den anderen79 Die Männer bekommen den Anteil dessen, was sie erworben haben, so und die Frauen bekommen den Anteil dessen was sie erworben haben. Und bittet Allah um Seine Huld.81 Wahr­lich, Allah ist aller Dinge gewahr.

79. In diesem Aja gibt Allah eine wichtige ethische Lehre, die wenn sie befolgt würde, dem heutigen turbulenten Gesellschaftsleben Frieden bringen könnte. Er lehrt die Menschen, nicht neidisch auf die Gaben anderer zu sein, denn in Seiner Weisheit hat Er die Menschen unterschiedlich erschaffen. (Mauduudi)

Die Unterschiede zwischen den Menschen liegen in ihren Aufgaben und in ihren Befähigungen, in ihren Anlagen und Begabungen, in Besitz und Eigentum und allem, worin die Anteile in dieser Welt verschieden sind. (Qutb)

80. Was den Satz betrifft: "Die Männer bekommen den Anteil dessen was sie erworben haben" bin ich der Ansicht, dass er bedeutet: Frauen sollen Männer nicht beneiden und Männer sollen Frauen nicht beneiden um irgendwelchen Vorzug, den die einen über die anderen aus Allahs Überfluss bekommen haben. Sie sollten von allem, was ihnen gegeben wurde, vollen Gebrauch machen und sicher sein, dass jeder nach seinem Verdienst seinen gerechten Anteil erhält. (Mauduudi)

81. Bittet Allah um moralische Vervollkommnung und geistige Entwicklung, damit ihr vor eurem Herrn zeigen könnt, dass ihr Seine Gaben mit dem äußersten Verantwortungsbewusstsein als wahre Diener Allahs genutzt habt. (Siddiqi)

 

33. Und jedem haben Wir Erbberechtigte82 für das bestimmt, was Eltern und nahe Verwandte hinterlassen. Und jenen, denen ihr eure rechte Hand verpfändet habt,83 gebt ebenfalls ihren Anteil. Wahrlich, Allah ist Zeuge über alle Dinge.

82. Mawali, Plural von Maula; von der Wurzel wala, nahe stehen bezüglich Ort oder Verwandtschaftsgrad, folgen. Maula kann deshalb bedeuten:

1) nahe verwandt,

2) Erbe,

3) Teilhaber oder Partner; diese drei Bedeutungen sind hier impliziert;

4) Nachbar, Freund, Beschützer oder Klient (45:44);

5) Herr oder Meister (16:76). (Juusuf 'Allii)

Dieser Aja setzte einen altarabischen Brauch außer Kraft. Man schloss nämlich damals Freundschafts- oder Bruderschaftsbündnisse miteinander, aufgrund derer man gegenseitig erbberechtigt war. Ebenso wurde ein Adoptivsohn der Erbe seines Adoptivvaters. Dieser vorislamische Brauch wird hier abgeschafft und befohlen, die Erbschaft gemäß denen von Allah gegebenen Geboten zu verteilen. Es ist jedoch erlaubt, zu Lebzeiten diesen Menschen beliebig zu geben. (Mauduudi)

83. Das heißt, denen ihr Unterstützung und die Erbschaft versprochen habt. (Al-Dschalalein)

Nach "Al-Manar" ist es die Erbberechtigung durch Eheschließung, die, wie es Brauch war, durch Handschlag erfolgte. (Anm. d. Übers.)

Anlässlich der Auswanderung von Mekka nach Medina wurden zwischen Auswanderern und Helfern Bruderschaftsbünde geschlossen und sie hatten auch Teil am gegenseitigen Erbe. Als später die Gemeinschaft fest etabliert war und die Beziehungen mit den in Mekka Zurückgebliebenen wieder aufgenommen werden konnten, wurden sowohl die Rechte der Blutsverwandten in Mekka als auch die der Helfer in Medina, mit denen Bruderschaft bestand, gesichert. Das ist die spezielle Bedeutung hier. Die allgemeingültige Bedeutung ist ähnlich: respektiert eure Blutsverwandtschaft sowie auch die Rechte der Nachbarschaft und Freundschaft. Seid gerecht zu allen. (Juusuf 'Allii)

 

Abschnitt 6

34. Die Männer sind die Verantwortlichen84 für die Frauen, weil Allah den einen von ihnen mit mehr Vorzügen ausgestattet hat als die anderen85 und weil sie von ihrem. Vermögen hingeben.86 Darum sind tugendhafte Frauen jene, die demütig ergeben sind,87 die in Abwesenheit das bewahren, was Allah ihnen zu bewahren aufgab.88 Und jene, von denen ihr Widerspenstigkeit89 befürchtet, ermahnt sie,90 haltet euch fern von ihren Liebestätten und straft sie.91 Und wenn sie euch (wieder) gehorchen, dann trachtet nach keinem anderen Mittel gegen sie.92 Wahrlich, Allah ist der Erhabene, Allerhöchste.

84. Jemand, der fest für die Sache eines anderen eingesteht, seine Interessen schützt und für seine Angelegenheiten Sorge trägt; es kann auch heißen: jemand, der für seine eigene Sache einsteht und mit stetiger Entschlossenheit seine Angelegenheiten regelt. (Juusuf 'Allii)

85. Der Qu'ran benutzt hier einen bedeutungsvollen Ausdruck, um einige wichtige Punkte hervorzuheben. Bloße Überlegen­heit des Mannes über die Frau hätte besser ausgedrückt werden können mit "faddalahum 'alayhinna" "Er gab ihnen (den Männern) Vorzug gegenüber ihnen (den Frauen)". Aber Qur'an drückt etwas anderes auf: "faddala-llahu ba'dahum 'ala ba'd" فَضَّلَ اللّهُ بَعْضَهُمْ, "Er bevorzugte einige von ihnen vor den anderen". Der dahinter liegende Gedanke ist, dass Männer und Frauen sich ergänzen und der Vorzug des einen nicht den Nachteil des anderen bedeutet, denn beide sind untrennbar miteinander verbunden. (Siddiqi)

86. Die Familie ist das erste Fundament im menschlichen Leben. Allah hat die Menschen männlich und weiblich erschaffen, als Partner und Grundsteine zum Aufbau dieses Daseins. Unter anderem hat er es zu den Aufgaben der Frau gemacht, die Frucht ihrer Verbindung mit dem Mann auszutragen, zur Welt zu bringen, zu pflegen und dafür zu sorgen. Diese Aufgabe ist nicht nur umfangreich, sondern äußerst wichtig. Sie ist keineswegs von geringem Wert oder einfach. Deshalb ist es nur gerecht, wenn die zweite Hälfte der Verantwortung dem Mann übertragen wird, nämlich die Sorge für den Lebensunterhalt und damit der Sicherheit für die Frau, so dass sie Zeit und Möglichkeiten hat, ihrer wichtigen Aufgabe nach­zukommen. ihr soll nicht auferlegt werden, auszutragen und zu gebären und zu pflegen und zu sorgen, und dann zusätzlich noch für den Lebensunterhalt zu arbeiten und sich abzuhetzen und schlaflos zu sein. Gerechtigkeit liegt auch darin, dass dem Mann die besonderen körperlichen, nervlichen, geistigen und psychischen Fähigkeiten zur Erfüllung dieser Aufgabe gegeben wurden, und dass der Frau die entsprechenden körperlichen, nervlichen, geistigen und psychischen Anlagen für ihre Aufgabe geschenkt sind. (Qutb)

"Weil sie von ihren Vermögen hingeben" oder "weil sie zum Unterhalt verpflichtet sind." (Anm. d. Übers.)

87. Zu den Eigenschaften einer tugendhaften mu’min Frau gehört demütige Ergebenheit, dass heißt: freiwilliger Gehorsam, Aufmerksamkeit und Liebe, nicht gezwungenermaßen und widerwillig oder mit Ausweichen und Überdruss! Deswegen wird "demütig ergeben" und nicht "gehorsam" gesagt, denn diese Ausdrucksweise beinhaltet Ruhe, Harmonie und Schutz in dem Heim, das die Heranwachsenden beherbergt und mit seinem Milieu prägt. (Qutb)

In diesem Zusammenhang ist eine Warnung notwendig. Gehorsam gegenüber Allah ist wesentlich wichtiger als Gehorsam gegenüber dem Ehemann und hat davor den Vorrang. Es ist daher die Pflicht der Ehefrau, ihrem Mann den Gehorsam zu verweigern, sobald und wann immer er von ihr verlangt, etwas zu tun, was Allahs Geboten widerspricht. In diesem Falle ist es eine Sünde, ihm zu gehorchen. (Mauduudi)

88. "Sie schützen (in Abwesenheit ihrer Ehemänner), was Allah ihnen zu schützen geboten hat". Der Satz kann auch so über­setzt werden: "...und (die Interessen ihrer Ehemänner) in deren Abwesenheit schützen, so wie Allah sie beschützt hat."

Die erstere Formulierung kann so Verstanden werden: eine gute Ehefrau ist gehorsam und harmonisch in Anwesenheit ihres Mannes und schützt in seiner Abwesenheit seinen Ruf und sein Eigentum sowie ihre eigene Tugend, wie Allah es ihr befohlen hat. Mit der zweiten Formulierung kommen wir mit etwas anderer Akzentsetzung zum gleichen Ergebnis: in Abwesenheit ihres Mannes tut eine gute Ehefrau, die sich der gesicherten Stellung bewusst ist, die Allah ihr gegeben hat, alles, um diese Stellung zu rechtfertigen, indem sie ihre eigene Tugend sowie seinen Ruf und sein Eigentum schützt. (Juusuf 'Allii)

89. Der Begriff "Auflehnung", umfasst absichtlich böswilliges Verhalten einer Frau gegenüber ihrem Mann oder eines Mannes gegenüber seiner Frau, einschließlich dessen, was man heute mit "seelischer Grausamkeit" bezeichnet; auf den Mann bezogen heißt es auch "Misshandlung" -im körperlichen Sinne -der Frau (vergleiche Aja 128 dieser Suura). In diesem Zusammenhang bedeutet böswilliges Verhalten einer Frau absichtliches, ständiges Vernachlässigen ihrer eheli­chen Pflichten. (Asad)

90. Die erste Maßnahme ist die Ermahnung, und dies ist eine Pflicht, die dem Beschützer der Familie auferlegt ist. Da aber die Ermahnung manchmal nicht hilft, folgt dann die zweite Maßnahme. Die widerspenstige Frau neigt meistens zum Nachgeben angesichts der Standhaftigkeit ihres Mannes an einer äußerst empfindlichen Stelle. Und wenn auch dieses Vorgehen nicht Abhilfe schafft, dann muss eine härtere Maßnahme herangezogen werden, die wenn auch hart, doch weniger schlimm ist als der Ruin der ganzen Institution. In Anbetracht des Zieles dieser Maßnahmen darf die Strafe nicht als Rache und Genugtuung oder als Verachtung und Erniedrigung angewandt werden. (Qutb)

91. Wie aus vielen authentischen Überlieferungen ersichtlich ist, hat der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, selbst entschieden den Gedanken verabscheut, die Ehefrau zu schlagen, und mehr als einmal hat er gesagt: "Ist es für einen von euch wirklich möglich, seine Frau zu schlagen, als wäre es eine Sklavin, und dann am Abend zu ihr zu gehen?" (Bucharii und Muslim) Einer anderen Überlieferung zufolge verbot er, Frauen überhaupt zu schlagen: "Schlagt niemals Allahs Dienerinnen!" (Abu Daawuud, Nesa’i, Achmed ibn Hanbal und andere) Als der obige Aja offenbart wurde, soll der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, selbst gesagt haben: "Ich wollte das eine, aber Allah wollte das andere -was Allah will, muss das Beste sein." (Al-Manar)

Aufgrund all dessen forderte er in seiner Predigt anlässlich der Abschiedspilgerfahrt kurz vor seinem Tode, dass Schläge nur ein letztes Mittel sein dürfen, wenn sich die Frau "auf eindeutige und offensichtliche Weise unmoralisch verhalten hat", und dass sie keine Schmerzen verursachen dürfen (Dschhayr mubarrih); authentische Überlieferungen hierzu gibt es in den meisten Hadiissammlungen. Aufgrund dieser Überlieferungen betonen alle Gelehrten, dass "Schläge", wenn man überhaupt zu diesem Mittel greifen muss, mehr oder weniger symbolisch erteilt werden sollen. Einige der größten Gelehrten (zum Beispiel Schafi'i) vertreten die Ansicht, dass dies nur gerade eben erlaubt ist und weitestgehend vermieden werden muss; sie begründen dies mit den persönlichen Gefühlen des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, selbst in dieser Frage. (Asad)

Dafür spricht auch die im Qur'an vorgeschriebene Reihenfolge:

1. Ermahnen,

2. sexuelle Enthaltsamkeit (also in der Regel mindestens eine Nacht) und dann erst in

3. Strafe. Schlagen im Affekt ist also in jedem Fall verboten. Eine über längere (Bedenk-) Zeit aufgeschobene Strafe wird ohne Zweifel nur bei schwerwiegenden Verstößen Anwendung finden (Anm. d. Übers.)

92. Jähzorn, Stichelei, Sarkasmus, Streit vor fremden Leuten, Bezugnahme auf vergangene Fehler, die längst vergeben und vergessen sein sollten all dies ist verboten. Der Grund hierfür ist charakteristisch für den Islam: verbringe dein ganzes Leben in Allahs Gegenwart, denn Er ist hoch über uns, aber Er sieht uns. Wie kleinlich und sinnlos erscheinen unsere kleinen Reibereien in Seiner Gegenwart! (Juusuf 'Allii)

Sucht keine falschen Vorwände, um eure Frauen zu belästigen oder zu misshandeln! (Siddiqi)

 

35. Und wenn ihr Zwietracht zwischen den Eheleuten93 befürchtet,94 dann setzt einen Schiedsrichter aus (den Reihen) seiner Angehörigen und einen Schiedsrichter aus (den Reihen) ihrer Angehörigen ein.95 Wenn sie eine Versöhnung wollen, dann wird Allah einen Ausgleich zwischen ihnen herbeiführen. Wahrlich, Allah ist wissend, kundig.

93. Wörtlich: zwischen den beiden (Anm. d. Übers.)

94. Hier bietet der Islam eine Methode zur Beilegung der Feindseligkeit und des Widerwillens gegeneinander an, damit nicht übereilt eheliche Verbindungen zertrennt und Familien zerstört werden, denn die Familie ist im Islam geheiligt und von größter Wichtigkeit beim Aufbau der Gemeinschaft und der Heranbildung der neuen Generation. (Qutb)

Es ist eine hervorragende Strategie zur Beilegung von Familienstreitigkeiten, ohne dass die Öffentlichkeit einbezogen oder schmutzige Wäsche gewaschen oder juristische Schikanen durchlitten werden müssen. Es ist bedauerlich, dass nicht alle Muslime davon Gebrauch machen, wie sie es eigentlich sollten. Schiedsrichter aus den jeweiligen Familien würden die Eigenheiten beider Parteien kennen und wären mit Allahs Hilfe in der Lage, eine wirkliche Versöhnung herbeizuführen. (Juusuf 'Allii)

Cumar soll gesagt haben:" Solche Fälle sollten den Mitgliedern der eigenen Familie zur Entscheidung vorgelegt werden, so dass durch deren eigene Vermittlung eine Möglichkeit zur Versöhnung gefunden werden kann, denn eine gerichtliche Entscheidung hinterlässt (manchmal) Groll in den Gemütern." (Siddiqi)

95. Hier ist nicht erwähnt, wer die Schiedsrichter ernennen soll, so dass jeder Ehepartner selbst einen Schiedsrichter aus seiner Familie ernennen kann, wenn sie ihre Unstimmigkeiten beilegen wollen, dass aber auch die Oberhäupter der beiden Familien die Initiative ergreifen können. Bezüglich der Vollmachten der Schiedsrichter gibt es verschiedene Ansichten. Nach der hanifitische und schafi'itische Rechtsschule haben sie nicht die Vollmacht, eine endgültige Entscheidung auszusprechen, sondern können zur Versöhnung führende Maßnahmen vorschlagen, die von den Ehepartnern angenommen oder abgelehnt werden können. Hasan Basri, Qatada und einige andere Rechtsgelehrte sind der Ansicht, dass sie bevollmächtigt sind, eine Versöhnung durchzusetzen, nicht aber eine Trennung. Wieder andere vertreten die Meinung, dass die Schiedsrichter in der Lage sein sollen, ihre Entscheidung bezüglich Versöhnung oder Trennung durchzusetzen, wie sie es für angemessen halten. (Mauduudi)

 

36. Und dient Allah und stellt Ihm nichts an die Seite96, und erweist den Eltern Wohltaten und ebenso den Verwandten,97 Waisen und Armen,98 den nahe ­stehenden Nachbarn und den fernen Nachbarn99, dem Gefährten an (eurer) Seite und dem Reisenden100 und denen, die euch gehören.101 Wahrlich, Allah liebt nicht die, die überheblich (und) stolz sind.102

96. Der Ausdruck "Schay'an" شَيْئاً  (wörtlich: eine Sache) verdeutlicht, dass Schirk nicht auf die Verehrung anderer "Gottheiten" beschränkt ist, sondern sich auf die Zuschreibung göttlicher oder gottähnlicher Macht auf Personen oder Objekte bezieht, die nicht als Gottheiten zu betrachten sind. Mit anderen Worten, er bezieht sich auch auf Heiligenverehrungen und ähnliches. (Asad)

97. Das erste Gebot ist, Allah zu dienen. Das zweite -ein Verbot -einem anderen außer Ihm zu dienen. Unmittelbar darauf folgt das Gebot, sich insbesondere den Eltern, aber auch den übrigen Verwandten gegenüber gut zu verhalten. Die meisten Gebote verpflichten die Kinder zur Güte gegenüber den Eltern, vernachlässigen umgekehrt aber auch nicht, die Eltern dazu zu ermahnen. Denn Allah ist barmherziger zu den Kindern als ihre Väter und Mütter. (Qutb)

98. Das Wesen des Islam ist, Allah zu dienen und den Mitgeschöpfen Gutes zu tun. Dies ist umfassender als "Liebe Allah und deinen Nächsten", denn es beinhaltet auch Pflichten gegenüber Tieren, die unsere Mitgeschöpfe sind, und die Betonung liegt auf tätigem Dienst, nicht so sehr auf Gefühlen. (Juusuf 'Allii)

99. Nahestehende Nachbarn: sowohl räumlich als auch die enge Beziehung betreffend; fremde Nachbarn umfasst entsprechend alle, die wir nicht kennen, die entfernt von uns wohnen oder in einem völlig anderen Gebiet leben. (Juusuf 'Allii)

Unser Prophet Muchammed, Allahs Frieden und Segen auf ihm, hat oft die moralische Verpflichtung eines Mu’mins gegenüber seinen Nachbarn betont, ungeachtet dessen Religionszugehörigkeit; seine Haltung hat er in folgenden Worten zusammengefasst: "Wer an Allah und den Jüngsten Tag den Imaan verinnerlicht hat, soll seinem Nachbarn Gutes tun.'" (Asad)

100. Der Gefährte an deiner Seite kann dein naher Freund und Gefährte sein, während der Wanderer oder Reisende, dem du begegnest, jemand sein kann, den du unterwegs zufällig getroffen hast. Dies ist viel weiter gefasst als "der Fremde in deinen Toren". (Juusuf 'Allii)

Der Gefährte an deiner Seite ist nach Ansicht von Allii ibn Abuu Talib und anderen Sahaba die Ehefrau oder der Ehemann. (Asad)

101. Wörtlich: "Was deine Rechte besitzt": jeder, der keine Bürgerrechte hat. Dies umfasst Gefangene und Sklaven (wo und in welcher Form auch immer solche vorhanden sind), Menschen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis sind, aber auch Tiere, mit denen du umgehst. Sie alle sind Allahs Geschöpfe und verdienen unser Mitgefühl und unseren tätigen Dienst. (Juusuf 'Allii)

In diesem Zusammenhang sind Sklaven beiderlei Geschlechts gemeint. Da dieser Aja dazu aufruft, allen Menschen Gutes zu tun, zu denen man in Beziehung steht, und es für einen Sklaven das Beste ist, wenn er befreit wird, fordert dieser Satz elliptisch zur Befreiung von Sklaven auf (Al-Manar).

Vergleiche auch Suura 9:60, wo ausdrücklich erwähnt wird, dass Saka-Gelder für den Freikauf von Menschen verwendet werden sollen. (Asad)

102. Wirkliche Hilfe und Freundlichkeit entstammt nicht der Prahl sucht oder einem Überlegenheitsgefühl (vergleiche "White Man's Burden" von Kipling), sondern einem freien Eingeständnis unserer eigenen Demut und der wahren Bedürfnisse unserer Mitgeschöpfe vor Allah. Denn in unseren jeweiligen Bedürfnissen sind wir vor Allah gleich; oder vielleicht ist sogar der beste von uns (in den Augen der Welt) schlechter als der schlechteste von uns. (Juusuf 'Allii)

Hochmütige und prahl süchtige Menschen verhalten sich ihren Untergebenen gegenüber nicht gut. (Siddiqi)

 

37. Jene, die geizig sind und die Menschen zum Geiz verleiten103 und verbergen, was Allah ihnen von seiner Huld104 zuteil  werden ließ. Und für die Kaafirs105 haben Wir eine erniedrigende106 Strafe bereitet.

103. Arroganz ist ein Grund, warum unsere Taten der Liebe und Freundlichkeit nicht gedeihen. Ein weiterer Grund ist Geiz und Selbstsucht. Allah liebt weder das eine noch das andere, denn beides entstammt einem Mangel an Liebe zu Allah oder Imaan an. Geizig ist der "clevere" Mensch, der sich nicht nur selbst weigert, sich für den Dienst am Nächsten zu engagieren, sondern durch Rat und Beispiel andere davon abhält, dies zu tun, weil er sonst von seinen Mitgeschöpfen verabscheut würde. Darum macht er entweder aus seinem Geiz eine Tugend, oder er verheimlicht die Gaben, die ihm geschenkt worden sind -Besitz, Position, Begabung, und vieles andere. (Juusuf 'Allii)

Neben Arroganz und Prahlsucht ist die Liebe zu materiellem Besitz eine krankhafte Erscheinung, die den Imaan eines Menschen untergräbt. Ein solcher Mensch ist nicht nur selbst geizig, sondern bringt durch sein schlechtes Beispiel andere davon ab, zu geben und zu helfen. Menschen mit einer solchen Mentalität sind Allah gegenüber undankbar, denn sie halten den Lebensunterhalt zurück, den Allah ihnen gegeben hat. (Siddiqi)

104. Huld oder auch Lebensunterhalt entweder in der Form von materiellem Besitz oder in Form von Wissen. (Darjabaadi)

105. Das Wort Kaafir kann hier in seiner ursprünglichen Bedeutung verstanden werden, nämlich "undankbar", dass heißt gleichgültig gegenüber den vielen Gaben, die Allah der Menschheit hat zukommen lassen. (Darjabaadi)

106. Es ist bemerkenswert, wie die Strafe dem Vergehen entspricht. Der Geizige verachtet andere, aber indem er dies tut, wird er selbst verachtenswert. (Juusuf 'Allii)

 

38. Und jene, die von ihrem Besitz spenden, um von den Menschen gesehen zu werden.107 Und sie haben den Imaan nicht an Allah verinnerlicht und (auch) nicht an den Jüngsten Tag. Und wer Scheytaan zum Kumpanen nimmt für ein übler Kumpan ist er!108

107. Im genauen Gegensatz zum Geiz, aber auch im Gegensatz zu wirklicher Freigebigkeit liegt ein weiterer Fehler: verschwenderisch zu geben, um von den Menschen gesehen zu werden. Dies ist reine Heuchelei; es gibt in solchem Verhalten keine Liebe, weder zu Allah, noch zu den Menschen. (Juusuf 'Allii)

Vergleiche auch Suura 2:268, wo vom Satan gesagt wird, dass er mit Armut droht und zum Geiz auffordert. (Siddiqi) 

108. Wenn hier gesagt wird: "Allah liebt nicht jene ...", dann bedeutet das nicht, dass Allah Gefühlen des Hasses und der Liebe unterliegt wie der Mensch, sondern Allah straft die Menschen mit dem, was ihrem Stolz und ihrem Hochmut entgegengesetzt ist, nämlich mit Verachtung und Verbannung. Und durch den Zusatz, dass Scheytaan ihr Gefährte sei, soll in den Seelen Abscheu vor diesen Eigenschaften hervorgerufen werden. (Qutb)

 

39. Und was wäre schon für sie dabei­ gewesen, wenn sie an Allah und an den Jüngsten Tag den Imaan verinnerlicht hätten und von dem gespendet hätten, was Allah ihnen geschenkt hat?109 Und Allah kennt sie wohl.

109. Lebensunterhalt: materiell, intellektuell, physisch -alles, was zum Leben und Wachstum dazugehört. Unser Dasein ist von Allah; wir sollen uns selbst deshalb frei für Allah hingeben. Wie könnte das eine Last sein? Es ist lediglich eine Antwort auf die Forderungen unserer eigenen gesunden Natur. (Juusuf ’Allii)

Es bringt keinen Schaden, wenn die Menschen aufrichtig an Allah den Imaan verinnerlichen und Seinem Lohn im jenseitigen Leben entgegen­sehen und deshalb großzügig spenden, um des Herrn willen, von dem sie alles als Gnadengeschenk erhalten haben. Ihre Mentalität ist jedoch so weit abgeirrt, dass sie diese schlichte Tatsache nicht begreifen: alles, was sie spenden, ist nicht von ihnen selbst, sondern von Allahs Großmut. (Siddiqi)

 

40. Wahrlich, Allah rügt niemandem Unrecht zu, nicht einmal im Gewicht eines Stäubchens.110 Und wo Gutes (getan worden) ist, vervielfacht Er (den Lohn).111 Und Er gewährt aus Seiner (Gnadenfülle) einen großartigen Lohn112

110. Das heißt, Er bestraft keinen Unschuldigen und hält den Lohn für gute Taten nicht zurück. Hier soll betont werden, dass selbst nach menschlichen Gerechtigkeitsnormen Seine Entscheidungen niemals ungerecht sind. "Mitqala sarratin" مِثْقَالَ ذَرَّةٍ  bedeutet das kleinstmögliche Maß. (Darjabaadi)

111. Das geringste bisschen Gutes, das wir tun, kommt von der Reinheit unseres Herzens. Durch Allahs Gnade und Barmherzigkeit wird seine Wirkung in der Welt vervielfacht; ein unvergleichlich größerer Lohn aber kommt von Ihm selbst, Seine Zufriedenheit, die uns Ihm näher bringt. (Juusuf ’Allii)

112. Der Weg des Islams ist also unter allen Umständen und in jeder Hinsicht sicherer und gewinnbringender. Was hindert die Menschen dann daran, an Allah und den Jüngsten Tag den Imaan zu verinnerlichen und von dem zu spenden, was Allah ihnen geschenkt hat? Sie spenden doch nicht Dinge, die sie selbst geschaffen haben, sondern es ist Allahs Geschenk für sie. Trotzdem vervielfacht er ihnen ihre Spende und schenkt ihnen mehr von Seiner Huld. (Qutb)

 

41. Und wie (wird es also sein), wenn wir aus jeder Gemeinschaft einen Zeugen herbeibringen und dich als Zeugen (für oder) gegen jene herbeibringen?113

113. Jeder Prophet und jede führende Persönlichkeit ist Zeuge für sein Volk und seine Zeitgenossen diejenigen, die Allah akzeptieren und diejenigen, die Ihn ablehnen. (Juusuf ’Allii)

 

42. An jenem Tag werden die, die kaafir gewesen sind und sich dem Gesandten widersetzt haben, wünschen, dass die Erde über ihnen eingeebnet würde. Aber vor Allah werden sie nichts Gesche­henes verbergen können.114

114. Wenn die Augen derer geöffnet werden, die Allahs Botschaft ablehnen, werden sie wünschen, in Staub zerfallen zu dürfen, solchen Schmerz wird ihnen ihre Weiterexistenz verursachen. Sie möchten sich vielleicht in der Erde verstecken, aber nichts kann vor Allah versteckt werden. Ihre gesamte Vergangenheit wird offen vor Ihm liegen. (Juusuf ’Allii)

 

Abschnitt 7

43. O die ihr den Imaan verinnerlicht habt! Begebt euch nicht zum Gebet, während ihr betrunken seid,115 bis ihr (wieder) wisst, was ihr sagt,116 und (auch) nicht, wenn ihr rituell unrein117 seid, außer wenn ihr euch unterwegs befindet, bis ihr gebadet habt. Doch wenn ihr krank118 oder auf Reisen seid oder wenn einer von euch vom Austreten kommt oder ihr Frauen berührt habt119 und kein Wasser findet,120 dann sucht euch guten, sauberen Sand121 und streicht euch damit über eure Gesichter und Hände. Wahrlich, Allah ist vergebend, verzeihend.122

115. Dies bezieht sich entweder auf den Rauschzustand oder auf einen Zustand der Benommenheit durch Schläfrigkeit oder anderes. Möglicherweise ist beides impliziert. Bevor das generelle Rauschmittelverbot ausgesprochen wurde, war es zumindest ungehörig, in einem solchen Zustand am Gebet teilzunehmen, Für das Gebet ist es angemessen, dass wir uns sammeln und Allah mit Ehrfurcht gegenübertreten, (Juusuf 'Allii)

Die Bezugnahme auf das Gebet an dieser Stelle knüpft an die Erwähnung der Auferstehung in den vorigen Ajas an, wo der Mensch sich vor Allah für das verantworten muss, was er in seinem irdischen Leben getan hat: denn im Gebet steht der Mensch während seines irdischen Lebens geistig Allah gegenüber und erinnert sich an seine Verantwortung gegenüber seinem Schöpfer. Bezüglich des Verbots, "im berauschten Zustand" zu beten, nehmen einige Kommentatoren an, dass diese Anordnung die erste Phase des völligen Rauschmittelverbots bildete und folglich durch das Gebot völliger Enthalt­samkeit von Rauschmitteln (Suura 5:90) aufgehoben wurde. Ganz abgesehen jedoch von der Tatsache, dass die "Abrogationslehre", nicht haltbar ist (siehe Suura 2:106 und Fußnoten), besteht keine Berechtigung zu der Annahme, dieser Aja sei ein “erster Schritt", der nach dem Totalverbot sozusagen überflüssig wurde. Es ist selbstverständlich wahr, dass der Qur’an den Gebrauch von Rauschmitteln zu jeder Zeit verbietet und nicht nur beim Gebet, da aber der Mensch “schwach erschaffen wurde" (4:28), ist ein Fehltritt nie ausgeschlossen; damit er aber nicht zusätzlich noch die Sünde begeht, im berauschten Zustand zu beten, wurde dieser Aja offenbart. Der Ausdruck "im berauschten Zustand"  beschränkt sich außerdem nicht ausschließlich auf Trunkenheit, denn in seinem weiteren Sinne bezeichnet der Begriff "Sufi" jeden Zustand geistiger Unausgeglichenheit, der den Menschen daran hindert, vollen Gebrauch von seinen intellektuellen Fähigkei­ten zu machen, das heißt, er ist auch anwendbar auf vorübergehende Beeinträchtigungen des Bewusstseins durch Medikamente, Schwindelgefühl oder Leidenschaft sowie so genannte "Schlaftrunkenheit" -auf jeden Zustand also, in dem die normale Urteilfähigkeit beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Da der Koran darauf besteht, dass bewusstes Handeln ein unerlässlicher Bestandteil jeder ’Ibade Handlung ist, ist das Gebet nur erlaubt, wenn der Mensch im völligen Besitz seiner geistigen Fähigkeiten ist und "weiß, was er spricht. (Asad)

116. Aus diesem Grunde lehrte der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, dass jemand, der sich sehr müde und schläfrig fühlt, so dass er beim Gebet immer wieder einnickt, sein Gebet abbrechen und erst einmal schlafen sollte. (Mauduudi)

117. In den vorigen Ajas wurden Handlungen erwähnt, die ’Ibade Handlungen schaden oder sie beeinträchtigen, wie Götzendienst, Geiz und Verschwendung, um die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen. Ein weiteres Hindernis speziell für das Gebet ist der Zustand geistiger Beeinträchtigung. Ein drittes Hindernis ist der Zustand ritueller Verunreinigung. (Siddiqi)

118. Wenn im Krankheitsfalle befürchtet werden muss, dass Wasser die Heilung behindert oder verzögert. (Darjabaadi)

119. Eine Umschreibung für Geschlechtsverkehr. (Siddiqi)

Auf den Reisenden bezogen bedeutet dieser Text, dass zwischen der größeren Unreinheit, die ein Bad erforderlich macht, und der kleineren Unreinheit, die eine Waschung erfordert, nicht unterschieden wird. Das gleiche gilt für den Kranken. (Qutb)

120. Strengste Sauberkeit und Reinheit von Körper und Seele wird gefordert, besonders zum Gebet. Aber es kommt vor, dass Wasser für die Waschung nicht leicht zugänglich ist, besonders in den trockenen Gebieten Arabiens, und dann wird Reinigung mit trockenem Sand oder Erde empfohlen. Vier solche Fälle werden hier erwähnt: die beiden letzteren, wenn Waschungen oder ein Bad erforderlich sind, die beiden ersteren, wenn das erforderliche Wasser nicht leicht erreichbar ist. Ein Kranker kann nicht weit gehen, um Wasser zu suchen, und ein Reisender hat nicht immer völlige Übersicht über seine Lage. In allen vier Fällen, wenn Wasser nicht erreichbar ist, kann man sich mit trockenem Sand oder Erde reinigen. Dieser Vorgang heißt Tayammum. (Juusuf ’Allii)

121. Man könnte hier fragen: Warum wurde Erde zur Reinigung empfohlen? Erde ist nach Wasser in der Welt am leichtesten zugänglich. Ihr Gebrauch erinnert ferner den Menschen an seinen Ursprung aus der Erde und an seine Rückkehr zur Erde. Sie über Gesicht und Hände zu streichen packt dem Menschen außerdem an der Wurzel seiner Eitelkeit und flößt ihm Demut ein. (Siddiqi)

122. Allahs Gebote sind keine Last; Er gebietet nur das, was leicht zu erfüllen ist. (Darjabaadi)

Du musst dein bestes tun, um physische Sauberkeit, seelische Reinheit und geistige Größe zu erlangen, wenn aber deine Bemühungen keinen vollkommenen Erfolg bringen, wird Allah dir vergeben. (Siddiqi)

 

44. Hast du nicht jene gesehen, denen ein Teil des Buches gegeben worden ist?123 Sie haben sich den Irrtum124 erkauft und wollen, dass (auch) ihr vom (rechten) Weg abirrt.

123. Es gibt in Wirklichkeit nur ein Buch Allahs, wobei die Thora der Juden und das Evangelium der Christen nur einen Teil dieses einen Buches darstellen. Den Muslimen schließlich wurde das gesamte Buch offenbart, denn der Qur’an beinhaltet nicht nur die Grundlagen sämtlicher Religionen, sondern noch viel weitergehende Prinzipien. (Qutb)

An verschiedenen Stellen sagt der Qur’an von den Gelehrten der Schriftbesitzer, ihnen sei, ,ein Teil des Wissens gegeben worden". Diese Ausdrucksweise wird benutzt, weil sie tatsächlich einen Teil ihrer Schriften verloren haben und dem Geist und wahren Ziel des übrigen Teiles entfremdet sind. Ihr Interesse daran war auf polemische Kontroversen, kleinere Einzelheiten der Gebote und philosophische Spitzfindigkeiten im Glauben beschränkt. Darum kannten sie den wahren Cha­rakter der Religion nicht und hatten keinen Zugang zu ihrem Wesen, obwohl sie "Theologen" und "Rabbiner" genannt und anerkannte Führer ihrer Gemeinschaft waren. (Mauduudi)

Ihnen ein Teil der Schrift zu geben, wäre dazu angetan gewesen, sie zur wahren Religion finden zu lassen, denn Allah gab ihnen durch Musa as die Thora. Sie aber übergehen diesen Teil. Sie übergehen die Rechtleitung und erkaufen sich den Irrtum. Mit dem Ausdruck erkaufen ist Vorsatz und Bestreben zum Tausch gemeint. Sie haben die Rechtleitung in Händen, aber sie lassen sie beiseite und nehmen dafür die Irrleitung als ob dies ein Handel wäre, den sie wissentlich und absichtlich abschließen und keineswegs aus Unwissenheit oder Schwäche. Eine Sache die merkwürdig und verwerflich erscheint. (Qutb)

124. Hier greift der Qur’an sein Hauptthema wieder auf: die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlungen, insbesondere für die Art, wie er auf die Rechtleitung antwortet, die Allah ihm durch die Offenbarung zukommen ließ. (Asad)

 

45. Doch Allah kennt eure Feinde wohl.125 Und Allah ist ein vortrefflicher Beschützer und Allah ist ein vortrefflicher Helfer.

125. Dies bezieht sich auf die Leute der Schrift allgemein. Es wurde aber daraus entnommen, dass die Juden in Medina damit gemeint seien. (Qutb)

 

46. Unter den Juden sind welche, die den Sinn der Worte verdrehen.126 Und sie sagen: "Wir hören und wir gehorchen nicht"127 und "höre das Unerhörte",128 und "ra'ina",129 mit einer Doppelzüngigkeit und indem sie die Religion schmähen130.Und wenn sie nur gesagt hätten: "wir hören und gehorchen, und höre uns und gewähre uns Auf­schub",131 dann wäre es besser für sie gewesen und richtiger. Allein, Allah hat sie wegen ihres Kufrs verflucht.132 Und sie haben nicht den Imaan verinnerlicht nicht außer einigen wenigen (von ihnen).

126. Wörtlich: "diejenigen, die sich zum Judentum bekennen". Diese Ausdrucksweise soll darauf hinweisen, dass sie ursprünglich "Muslime" waren, so wie die Gemeinschaft jedes Propheten "Muslim" ist. (Mauduudi)

127. Vergleiche Suura 2:93. Die Juden verdrehten Worte und Redewendungen und machten auf diese Weise die ernsten Lehren der Religion lächerlich. Anstelle von "Wir hören und gehorchen" sagten sie laut: "Wir hören", und leise und undeutlich: "Wir gehorchen nicht". (Juusuf 'Allii)

Sie verändern Worte und Abschnitte der heiligen Texte, entstellen ihre Bedeutung und verdrehen ihre Formulierung. Der Qur’an war nicht der erste, der den Juden die Entstellung ihrer Schriften vorwarf. Auch Justinian beschuldigte sie gegen  Anfang des 2. nachchristlichen Jahrhunderts, "sich unsittlich verhalten und aus ihren Büchern vieles entfernt zu haben, was für das Christentum sprach. Diese Vorwürfe wurden von den späteren christlichen Autoren wiederholt." Die moderne jüdische Theologie der Reformschule gibt nicht nur, ,den menschlichen Ursprung der Heiligen Schriften" zu und aner­kennt, dass "der überlieferte Stoff manchmal nachgewiesenen Ergebnissen der modernen historischen, physikalischen und psychologischen Forschung widerspricht", sondern gelangt zu folgenden Schlussfolgerungen:

1) Die überlieferte Vorstellung einer Verbal Inspiration muss aufgegeben werden.

2) Die Seher und Autoren von Juda müssen als Menschen mit menschlichen Schwächen angesehen werden, jeder mit seiner Eigenart in Stil und Gefühl.

3) Der Gedankengang, dass "der Prophet oder der Verfasser einer heiligen Textes sich unter dem Einfluss des Heiligen Geistes befand, während er in Wort oder Schrift religiöse Gedanken offenbarte, "besagt, dass das menschliche Element in ihnen nicht ausgelöscht war, folglich konnten sie bezüglich ihrer Aussagen, ihres Wissens und ihrer Kommunikationsform nur als Kinder ihres Zeitalters gehandelt haben. (Darjabaadi)

128. Die Tefsirschreiber meinen, dass diese Worte ein Verwünschen bedeuten. Und das heißt soviel wie Allah macht dich unhörig. (Al-Manar)

129. Vergleiche Suura 2:104. In respektvollem Arabisch gebraucht bedeutet das Wort "ra'ina" "Bitte achte auf uns". Absichtlich falsch ausgesprochen bekommt das Wort eine beleidigende Bedeutung; auf Hebräisch bedeutet es gar: ,,O du Schlechter!" (Juusuf 'Allii)

130. Wörtlich: "Die Religion einen Stoß geben", das heißt ihm einen grundlegenden Defekt zuschreiben. Indem die Juden sagen: "Höre du uns zu" bringen sie die Ansicht zum Ausdruck, sie hätten von den Lehren des Propheten Muchammed, Friede und Segen auf ihm, nichts zu lernen, er sollte sich lieber ihren religiösen Ansichten anschließen. (Asad)

131. Siehe Fußnote 133 zu Suura 3 Aja 78. (Anmerkung des Übersetzers)

Das heißt: ....hätten sie gesagt : "Wir haben deine Rede gehört und wir gehorchen deinen Anordnungen und höre auch was wir sagen: "Unsurna": "Gewähre uns Aufschub, lass uns Zeit und dränge uns nicht zur Eile". Es könnte aber auch heißen: " und schenke uns einen Blick der Fürsorge und der Aufmerksamkeit." (Al-Manar)

132. Vergleiche Suura 2:88 und Fußnoten. Alle Religionsaussagen der Juden sind auf sie selbst und ihren angeblichen bevorzugten Status vor Allah zentriert. (Asad)

 

47. O ihr, denen die Schrift gegeben worden ist! Verinnerlicht den Imaan an das, was Wir (als Offenbarung) herabgesandt haben als Bestätigung dessen, was bei euch (an früheren Offenbarungen bereits) ist,133 bevor Wir (euch) das Gesicht verlieren lassen und es nach hinten kehren134 oder sie verfluchen, wie Wir die Gefährten des Sabats135 verflucht haben. Denn Allahs Anordnung wird gewiss in die Tat umgesetzt werden.

133. Da sie die Schrift erhalten haben. ist diese Rechtleitung für sie nicht fremd. Allah, Der ihnen die Schrift gab, ist auch Derjenige, Der sie aufruft, an das den Imaan zu verinnerlichen, was Er im Qur’an herabgesandt hat und das bestätigt, was sie zuvor bekamen. (Qutb)

134. Wörtlich: "Bevor Wir einige Züge (oder Gesichter) austilgen und sie von vom nach hinten drehen": diese arabische Redewendung muss frei übersetzt werden, um ihre wirkliche Bedeutung zu treffen. Das Gesicht ist der Hauptausdruck des wahren menschlichen Wesens, es zeigt auch seinen Ruf und seine Wertschätzung an. Allah hatte dem Volk der Schrift durch geistige Enthüllungen eine besondere Gunst erwiesen. Sobald es sich als unwürdig erwies, "verlor es sein Gesicht". Aufgrund ihres eigenen Verhaltens sollte sich ihre Erhabenheit in Erniedrigung verwandeln. Andere sollten ihren Platz einnehmen. "Die Ersten sollen die Letzten sein, und die Letzten sollen die Ersten sein" (Matt. 19:30). (Juusuf 'Allii)

Eine andere Übersetzungsmöglichkeit: "Bevor wir das auslöschen, wohin sie sich wenden, oder wonach sie in Erwartung streben (Manar V, 144 ff), und ihnen ein Ende setzen". Der Begriff "Dubur" (Plural: adbar أَدْبَارِ) bedeutet nicht immer "Rücken" oder "Rückseite", wie viele Übersetzer annehmen, sondern bedeutet oft "letzter Teil" oder "Ende". (Asad)

135. Vergleiche Suura 2:65 und Fußnoten. (Juusuf 'Allii)

Siehe auch Suura 7:163-166, wo die Geschichte der Sabbatbrecher ausführlich wiedergegeben ist, und zugehörige Fußnoten. (Asad)

 

48. Wahrlich, Allah verzeiht nicht, dass Ihm (Götzen) an die Seite gestellt werden.136 Doch Er verzeiht davon abgesehen wem Er will.137 Und wer Allah (Götzen) an die Seite stellt, der hat fürwahr eine gewal­tige Sünde138 ersonnen

136. Allahs Gesandter –Allahs Friede sei mit ihm -sagte: "Wenn jemand stirbt, ohne Allah etwas beigesellt zu haben, dann bestraft Allah ihn, wenn Er es als angebracht befindet, oder vergibt ihm, wenn Er es als angebracht befindet. Allah vergibt nicht, dass man Ihm etwas beigesellt; außer diesem vergibt Er alles, wem er will."

137. Sowohl kleine als auch große Sünden. (Darjabaadi)

Dies soll nicht bedeuten, dass man leichtsinnig andere Sünden begehen kann, wenn man sich nur von Schirk (Götzendienerei) fernhält, sondern hier soll die Bedeutung dieser großen Sünde betont werden, die oft für trivial gehalten wird. (Mauduudi)

138. So wie in einem irdischen Königreich Hochverrat das schwerste Verbrechen ist, das die Existenz des Staatswesens gefährdet, so besteht im geistigen Reich das unverzeihliche Vergehen in Verrat gegen Allah, indem man Seine Geschöpfe zu seinen Rivalen erhebt. Dies ist eine Auflehnung gegen das Wesen und den Ursprung des geistigen Lebens. Plato hätte es mit "Lüge in der Seele" bezeichnet. Aber selbst in dem Falle, wo diese Auflehnung aus Unwissenheit geschieht und Einsicht und aufrichtige Umkehr darauf folgt, steht Gottes Barmherzigkeit immer offen. (siehe Suura 4:17). (Juusuf 'Allii)

Die ständige Betonung auf Allahs transzendentaler Einheit und Einzigartigkeit im Qur’an zielt darauf ab, den Menschen von jeder Abhängigkeit von anderen Einflüssen und Mächten zu befreien und ihn auf diese Weise geistig zu erheben und eine Reinigung zu bewirken, wie sie im folgenden Aja behandelt wird. Da diese Zielsetzung durch Schirk (anderem außer Allah göttliche Eigenschaften zuschreiben) beeinträchtigt wird, bezeichnet der Qur’an diese Sünde als "unverzeihlich", solange sie anhält, das heißt, bis der Sünder umkehrt. (Asad)

 

49. Hast du nicht jene gesehen, die sich selbst als rein bezeichnen?139 Doch nein! Allah läutert, wen Er will. Und ihnen wird nicht im geringsten140 unrecht getan.

139. Das heißt als heilig, unfehlbar, Kinder Allahs, oder in besonderer Beziehung zu Allah stehend. (Darjabaadi)

Scheinheilige Menschen oder solche, die sich selbst für heilig halten, sind am weitesten von Heiligkeit und Reinheit ent­fernt, denn diese kann nur von Allah ausgehen. Sie können nicht mit Allahs Wahrheit spielen und dennoch beanspruchen, von Allah geleitet, gereinigt und gerechtfertigt zu sein. Ihr Trug selbst verurteilt sie, es bedarf keines weiteren Beweises für ihre Selbstsucht und Bösartigkeit. (Juusuf 'Allii)

Das heißt, die Juden, die sich für das "auserwählte Volk Allahs" und von daher besonders für Allahs Gnade prädestiniert halten, und die Christen, die an Isa as "stellvertretende Sühne" für die Sünden der Menschheit glauben. Es besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen dieser Bemerkung und der Bezugnahme auf Schirk (Götzendienerei) im vorigen Aja, weil Juden und Christen, während sie nicht ausdrücklich an die Existenz einer anderen Gottheit neben Allah den Imaan verinnerlichen, bestimmten menschlichen Wesen in verschiedenen Grade göttliche oder gottähnliche Eigenschaften zuschreiben: die Christen, indem sie 'Isa, Allahs Segen und Frieden auf ihm, zu einer Manifestation in Menschengestalt erheben und offen eine Hierarchie von Heiligen von, und die Juden, indem sie ihren großen Talmudgelehrten gesetzgeberische Vollmachten zuerkennen, so dass ihre Rechtsent­scheidungen notfalls sogar Gebote der Schrift außer Kraft setzen können (vergleiche diesbezüglich Suura 9:31). Es braucht nicht besonders erwähnt zu werden, dass sich dies auch auf jene Muslime bezieht, die sich ähnlicher Vergehen schuldig gemacht haben. Folglich umfasst der Ausdruck "diejenigen, die sich selbst als geläutert bezeichnen" in diesem Zusammenhang alle, die sich für Monotheisten halten (einfach aus dem Grund, weil die nicht bewusst mehrere Gottheiten verehren), trotzdem aber in diesem tieferen Sinne die Sünde des Schirk (Götzendienerei) begehen. (Asad)

Die Juden behaupteten seit alters her, sie seien Allahs auserwähltes Volk. Allah hatte sie tatsächlich auserwählt, nämlich um die Verantwortung des Prophetentums zu tragen. Zu jener Zeit hatte Er sie vor der ganzen Menschheit bevorzugt, von Pharao und seinen Fürsten befreit und ihnen das Heilige Land gegeben. Sie aber wandten sich danach von Allahs Wegen ab und begingen im Lande große Gewalttaten und himmelschreiendes Unrecht, und ihre Gelehrten verdrehten Allahs Wort; obwohl sie Allahs Gesetz sehr wohl kannten, vertauschten jene Gelehrten darin Erlaubtes und Verbotenes. In­dem sie dies zuließen und befolgten, nahmen die Juden ihre Gelehrten zu Herren neben Allah, während ihre Bindung an Allahs Religion und Seine offenbarte Schrift schwach war. (Qutb)

140. Wörtlich: Das Häutchen in der Rille eines Dattelkerns, ein Ding ohne jeden Wert. (Juusuf 'Allii)

Die meisten Philologen verstehen unter "fatiel"- einen "dünnen Faden, den man zwischen den Fingern drehen kann"- eine Bezeichnung, die auch, aber keineswegs ausschließlich, auf die winzige Faser in der Rille eines Dattelkerns verwandt wird. Diese Redewendung kann sowohl am besten übersetzt werden mit "um Haaresbreite". Der obige Aja besagt erstens, dass geistige Reinheit nicht das Privileg einer bestimmten Gruppe oder Gemeinschaft ist, und zweitens, dass der Mensch nur durch Allahs Gnaden rein werden oder bleiben kann, denn "der Mensch ist schwach geschaffen" (siehe Aja 28 oben). (Asad)

 

50. Schau, wie sie eine Lüge gegen Allah ersinnen. Doch das allein schon stellt eine offenkundige Sünde dar.141

141. Wörtlich: "Und dies genügt als offenkundige Sünde". Der Aja bezieht sich auf verschiedene willkürliche theologische Aussagen, wie etwa die jüdische Behauptung, Allahs auserwähltes Volk und auf diese Weise vor Allahs Strafe sicher zu sein; die christliche Lehre der "stellvertretenden Sühne"; die Darstellung Allahs als "Dreieinigkeit" mit "Isa, Allahs Segen und Frieden auf ihm, als der "zweiten Person"; und vieles mehr. (Asad)

 

Abschnitt 8

51. Hast du nicht jene gesehen, denen ein Teil der Schrift gegeben worden ist?142 Sie glauben an Magie und an den Bösen.143 Und sie sagen von denen, die kaafir sind, dass sie besser auf dem (rechten) Weg geleitet seien als jene, die den Imaan verinnerlicht haben.l44

142. Vergleiche Suura 3:23 und Fußnote 38, und Suura 4:44 (Juusuf ’Allii)

Zum Wesentlichen früherer Offenbarungen gehört, dass der Mensch dieser Schrift folgen und nicht Götzen dienen soll, wie es diejenigen tun, die Allah nicht leitet; dass er die Schrift zur entscheidenden Instanz in seinem Leben macht und sich nicht an Autoritäten außer Allah orientiert. Die Juden waren beispielsweise auf diesem Weg zum Götzendienst gelangt, indem sie Wahrsagerei betrieben und Verhaltensweisen einführten, die Allah nicht erlaubt hatte. Sie folgten dem , indem sie sich an Rechtsentscheidungen orientierten, die eine andere Grundlage als Allahs Gesetz hatten, was Unterdrückung zur Folge hat. (Qutb)

143. Das Wort "Dschibt" جِبْت bedeutet Wahrsagerei, Zauberei, Magie oder Abgötterei verschiedener Art. "Tadschut" (vergleiche auch Suura 2:256) bedeutet "der Böse", der sich über alle Grenzen hinwegsetzt, Scheytaan; es kann sich hier auch auf einen altarabischen Götzen beziehen, mit dem die medinensischen Juden gegen Allahs Gesandten Ränke schmiedeten. Die Juden hatten einen starken Hang zur Zauberei, Wahrsagerei, Magie und anderen Aberglauben. (Juusuf 'Allii)

144. Sie waren so unvernünftig, dass sie offen erklärten, die Götzendiener seien besser geleitet als die Muslime, das heißt mit anderen Worten, sie gaben dem Götzendienst eindeutig den Vorzug gegenüber dem Islam. (Siddiqi)

 

52. Sie sind diejenigen, die Allah verflucht hat. Und wen Allah verflucht hat, für den wirst du keinen Helfer finden.145

145. Die Juden verbündeten sich damals mit den mekkanischen Götzendienst gegen Muchammed, Allahs Frieden und Segen auf ihm, aber abgesehen davon, dass sie keine Hilfe bekamen, wurden sie und die Götzendiener beide überwunden. Dies war der unmittelbare Anlass, aber die Worte haben eine allgemein gültige Bedeutung. (Juusuf 'Allii)

Allah ist Helfer dessen, der Ihm hilft, indem Er nämlich dem beisteht, der aufrichtig an Ihn den Imaan verinnerlicht, Seinem Weg wahrhaftig folgt und sich bei Zweifel oder Zwistigkeiten mit innerer Zufriedenheit und Zustimmung an Seinem Gesetz orientiert. (Qutb)

 

53. Haben sie etwa teil an der Herrschaft? Doch dann würden sie den Menschen nicht das Allergeringste abgeben.l46

146. "Naqir" نَقِيراً  bedeutet wörtlich "die Rille eines Dattelkerns", eine Sache ohne jeden Wert. Geiz und Neid gehören zu den übelsten Formen des Egoismus und wirken besonders unangebracht bei Menschen, die über Macht, Einfluss und Autorität verfügen, denn von ihnen erwartet man Großzügigkeit im Geben und in der Sorge für das Allgemeinwohl. (Juusuf 'Allii)

Der Qur’an führt den Mythos von Macht und Einfluss ad absurdum indem er fragt: Haben sie etwa Anteil an der göttlichen Autorität, so dass sie sich für kompetent genug halten zu entscheiden, wer auf dem rechten Weg ist und wer nicht? Diese Autorität liegt allein in Allahs Hand, und wenn jene kurzsichtigen Menschen Anteil daran hätten, würden sie nie einem anderen das geringste bisschen davon zugestehen. Wie können solche voreingenommenen Menschen, die voller Eifersucht die Wahrheit ablehnen, wenn sie von jemandem außerhalb ihrer eigenen Konfession dargelegt wird, sich leisten, Privile­gien an andere abzutreten? (Siddiqi)

 

54. Oder beneiden sie die Menschen um das, was Allah ihnen von Seiner Huld gegeben hat?147 Aber Wir haben bereits der Familie Ibraahiims148 die Schrift und die Weisheit gegeben und Wir haben ihnen ein gewaltiges Reich gegeben.149

147. Es ist vielleicht der Neid auf Allahs Gesandten -Friede und Allahs Segen sei mit ihm -und die Muslime und das, was Allah ihnen aus Seiner Güte geschenkt hat -auf diese Religion, die ihnen Kraft gibt, ein neues Leben schenkt, ihr Dasein menschlich macht und ihnen Licht, Vertrauen, Zuversicht und Gewissheit, sowie Sauberkeit, Reinheit, Würde und Festig­keit gibt. (Qutb)

Die Juden werden hier kritisiert, weil sie den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, und seine Anhänger um Allahs Geschenk (das Prophetentum) beneiden, auf das sie selbst Anspruch erheben, obwohl sie sich als unwürdig erwiesen haben. Statt Reue über ihr Verhalten zu zeigen, das sie unwürdig für Allahs Gabe gemacht hat, hegen sie Groll gegen den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, der durch Allahs Gnade die größte geistige, moralische und intellektuelle Revolution hervorbrachte. Ihre Eifersucht veranlasste sie, Partei für die Götzendiener zu ergreifen und sich gegen die Muslime zu wenden. (Mauduudi)

148. Ibrahims as Familie umfasst selbstverständlich Ismail und Ishaq in gleicher Weise. (Darjabaadi)

Der Qur’an betont, dass ihre Eifersucht auf den Islam und den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm,  keinerlei Rechtfertigung hat. Sie hegen lediglich in ihren Herzen einen Groll darüber, dass Allah jemandem außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft die Offenbarung zukommen ließ. Der Qur’an fordert sie zum Nachdenken über ihre widersprüchlichen Positionen auf: einerseits halten sie sich für wahre Nachfolger Ibrahims, die an das glauben, was ihm von Allah offenbart wurde; andererseits nähren sie Hass gegen Muchammed und lehnen ab, was ihm von Allah gegeben wurde, obwohl Muchammed ein direkter Nachkomme Ibrahims as ist, dessen Botschaft der Qu’an bewahrt und bestätigt. (Siddiqi)

149. Wie beispielsweise die Reiche Daawuuds as und Suleymaans as, die in der ganzen Welt berühmt waren. (Juusuf 'Allii)

Das arabische Wort "Mulk 'asiim" مُّلْكاً عَظِيمً  (mächtiges Herrschaftsgebiet) bezieht sich auf die Führung und Leitung der Welt und die Überlegenheit über andere Nationen, die zustande kommt, indem man das Wissen und die Weisheit des Bu­ches Allahs in die Praxis umsetzt. Wenn dieses Privileg der Familie Ibrahims as den Juden als Ursache für Ehre und Stolz gilt, weil sie sich als seine Anhänger betrachten, warum sollten sie dann beruhigt sein, wenn ebendiese Privilegien auf den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, übertragen werden, der ebenso von Ibrahim abstammt wie jeder israelitische Prophet? (Siddiqi)

 

55. Unter ihnen sind manche, die an ihn den Imaan verinnerlicht haben haben150 und manche, die sich von ihm abgewendet haben. Und die Hölle genügt als Feuerglut.151

150. Indem sie Ibrahims as Botschaft treu geblieben sind. (Asad)

151. Neid ist wie ein inneres Feuer, das in sich selbst eine Hölle ist. (Juusuf 'Allii)

 

56. Wahrlich, jene, die Unsere Zeichen leugnen, werden Wir schon bald dem Feuer aussetzen.152 Jedes Mal wenn ihre Haut verbrannt ist, tauschen Wir sie gegen eine andere Haut aus,153 damit sie die Strafe kosten mögen. Wahrlich, Allah ist allmächtig, weise.

152. Allahs Gesetz ändert sich nicht. Wer den Propheten Muchammed, Allahs frieden und Segen auf ihm, als Allahs Gesandten ablehnt und nicht an das den Imaan verinnerlicht, was ihm von Allah gegeben wurde, der muss die gleichen Konsequenzen tragen wie diejenigen, die frühere Propheten abge­lehnt haben. (Siddiqi)

153. Dies ist die Vergeltung für Lästerung gegenüber Allah, nachdem die Mittel zur Erlangung des Imaans gegeben worden waren. Sie ist beabsichtigt, als eine ausgleichende Vergeltung. (Qutb)

Dieses furcht erregende Bild vom Leiden im zukünftigen Leben soll die unvorstellbar lange Dauer dieses Leidens betonen. (Asad)

 

57. Und jene, die den Imaan verinnerlicht haben und gute Werke tun, werden Wir in Gärten eingehen lassen, durch die Ströme fließen.154 Dort werden sie ewig verwellen. Sie werden dort Gefährten und Gefährtinnen von vollkommener Reinheit155 haben und Wir werden sie in wohltuenden Schatten156 eingehen lassen.

154. Wörtlich: unter denen Ströme fließen. (Anm. d. Übers.)

155. Dies ist das Gegenbild zum letzten Aja. Wenn das Feuer hier zum Symbol der Bestrafung wird, dann ist der Garten das Symbol für die Glückseligkeit. Und was kann entzückender sein als ein Garten, in dem man von einer malerischen Anhöhe aus eine bezaubernde Landschaft um sich herum betrachten kann? -Ströme und Bäche, in denen kristallklares Wasser dahinplätschert und Obstbäume, die, die wunderbarsten Früchte tragen. So ist die Frucht des Guten zwar Gleicherweise Gutes, doch von noch erlesenerer, sich ständig steigernder Herrlichkeit. Man meint, es sei dasselbe, doch dies scheint nur so zu sein, weil man den Maßstab früherer Erfahrungen und Gedankenverbindungen anlegt. Und dann gibt es dort Gefährten und Gefährtinnen von Reinheit in höchster Vollkommenheit. Die Gemeinsamkeit bezieht sich sowohl auf das männliche als auch auf das weibliche Geschlecht, gemessen an unserer materiellen Welt. Die Sinne umfassende Glückseligkeit ist dabei nicht nur eine zeitlich begrenzte Hochstimmung, sondern sie wird über irdische Zeitbegriffe hinaus ewig andauern.

156. Der Garten ist hier dem Feuer gegenübergestellt, ebenso der Schatten der Hitze. Das Böse wächst auf seinem eigenen Nährboden. Ebenso nimmt das Gute und das damit verbundene Glück durch die Praxis zu. Ein guter Mensch mag anfangs allein stehen, aber anders als die Bösen, wird er reine Gefährten bekommen. Ebenso wie geistiges Leiden durch das Böse zunimmt (bildlich dargestellt dadurch, dass neue Haut wächst, sobald die alte verbrannt ist), so findet geistiges Glück eine immer tiefere Bedeutung (dargestellt durch den Schatten im Garten, der immer kühler und frischer wird, je tiefer man vorwärts schreitet). (Juusuf 'Allii)

Im arabischen Sprachgebrauch bedeutet "Siil" ظِـل (Schatten) auch Decke oder Unterschlupf, metaphorisch also Schutz, oder einfach Glückseligkeit -die Kombination "sill salil" ظِـلاًّ ظَلِيلاً  bedeutet dann also "völlige Glückseligkeit". (Siddiqi)

 

58. Wahrlich, Allah gebietet euch, dass ihr (euch) Anvertrautes157 an seine Besitzer158 zurückgebt, und wenn ihr zwischen den Menschen richtet, dass ihr eine gerechte Entscheidung trefft.159 Wahrlich, was für eine herrliche Ermahnung160 gibt euch Allah dadurch! Wahrlich, Allah ist hörend (und) sehend.

157. Das Wort "Amanet" لأَمَانَاتِ bezeichnet in diesem Zusammenhang in erster Linie das Vertrauenspfand, das Allah verschiedenen Völkern und schließlich jetzt den Muslimen überragen hat. Die Mu’mins werden davor gewarnt, dass sie nicht wie Juden und Christen vor ihnen versäumen, dieses Vertrauenspfand vollständig der gesamten Menschheit zugänglich zu machen, wie es die Absicht des Qur’an ist.

Eine weitere Bedeutung ist die, dass Muslime nicht wie Juden und Christen vor ihnen ihre religiösen, moralischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen politischer Angelegenheiten in die Hände derer legen dürfen, die es am wenigsten verdienen, sondern alle Anliegen mutaqi Menschen anvertrauen, die in der Lage sind, solche Verantwortung auf sich zu nehmen. (Siddiqi)

158. Die Muslime sollen aus der Geschichte der Kinder Israel lernen. Deren grundlegender Irrtum bestand nämlich darin, dass sie inkompetenten Personen Vertrauensstellungen übertrugen mit dem Ergebnis, dass die Gesellschaft geschwächt wurde. Die Muslime werden hiervor gewarnt und aufgefordert, Verantwortung nur solchen Menschen zu übertragen, die qualifiziert sind und einen einwandfreien Charakter besitzen. (Mauduudi)

159. Wörtlich: dass ihr in Gerechtigkeit richtet. (Anm. d. Übers.)

Dies sind die Aufgaben der muslimischen Gemeinschaft und dies ist ihre Eigenart; das anvertraute Gut den Besitzern zu übergeben und zwischen den "Menschen" gerecht und gemäß den Lehren und Gesetzen Allahs zu urteilen. Die anvertrauten Güter fangen mit dem an, womit Allah den Menschen beauftragt hat, nämlich mit der Rechtleitung, Allah zu kennen und an Ihn den Imaan zu verinnerlichen, bereitwillig und mit Engagement und Ausdauer. Ein weiteres dieser anvertrauten Güter ist der Umgang mit den Menschen im Geschäftsbereich und in materiellen Bereichen, und weiterhin die Pflicht des aufrichtigen Rates und des Schutzes der Untertanen. Und was das gerechte Richten zwischen den "Menschen" anbelangt, so wird es als absolutes Recht aller Menschen bezeichnet. Es ist nicht eine Gerechtigkeit nur unter den Muslimen auch nicht nur den Schriftbesitzern gegenüber, sondern ein Recht jedes Menschen. (Qutb)

Gerechtigkeit im juristischen Sinne, aber auch bei der Beurteilung der Motive, Geisteshaltungen und dem Verhalten anderer Menschen.

Im Zusammenhang mit den vorangehenden und folgenden Ajas gelesen wird hieraus deutlich, dass die Muslime das oben erwähnte Vertrauenspfand, nämlich die Botschaft und die offenbarten Wahrheiten, denen weitervermitteln müssen, die "ein Anrecht darauf haben", dass heißt die gesamte Menschheit. Dies bezieht sich nicht nur auf die moralische Verantwortung, sondern besonders auf die Ausübung weltlicher Macht und politischer Souveränität durch die muslimische Gemeinschaft oder den islamischen Staat, wie aus dem folgenden Aja hervorgeht. (Asad)

160. Dies ist eigentlich keine Ermahnung, sondern ein Befehl. Er wird als "Ermahnung" ausgedrückt, weil die Ermahnung nachdrücklicher ist und den Weg zur Seele schneller findet, weil die Bereitschaft, sie freiwillig durchzuführen, größer ist. (Qutb)

 

59. O die ihr den Imaan verinnerlicht habt! Gehorcht Allah und gehorcht dem Gesandten und den Verantwortlichen161 unter euch. Und wenn ihr über etwas in Streit geratet, dann bringt es vor Allah und den Gesandten,162 sofern ihr an Allah den Imaan verinnerlicht habt und an den Jüngsten Tag. Das ist am besten und die schönste (Art des Vorgehens und der) Auslegung.163

161. Der Weg des Imaans und der grundlegenden Ordnung besteht darin, dass man dem Allmächtigen Allah gehorcht und Seinem Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, folgt, indem man sich an seiner Sunnah (Lebensgewohnheit) orientiert, und dass man denen folgt, die unter den Mu’mins Verantwortung tragen und sich für die Verwirklichung der Aqidach und Handlungsnormen einsetzen. (Qutb)

"Ulu-l-am"“: diejenigen die Autorität oder Verantwortung oder Entscheidungsgewalt haben. Alle endgültige Autorität liegt bei Allah. Mutaqi leiten ihre Autorität allein von Ihm her. Da der Islam nicht scharf zwischen sakralen und säkularen Angelegenheiten unterscheidet, wird von einer gewöhnlichen Regierung erwartet, dass sie die Gerechtigkeit vertritt und die Stelle eines gerechten Imam einnimmt; eine solche Autorität sollen wir respektieren und befolgen, sonst ist weder Ordnung noch Disziplin möglich. Wo es in der praktischen Wirklichkeit zu einem Bruch zwischen Gesetz und Moral, zwischen säkularen und religiösen Anliegen gekommen ist, wie es heute in den meisten Ländern der Fall ist, for­dert der Islam dennoch, weltliche Macht in Gerechtigkeit auszuüben, und fordert unter dieser Bedingung zum Gehorsam gegenüber solcher Autorität auf. (Juusuf 'Allii)

Beachte, dass Gehorsam menschlichen Verantwortlichen gegenüber keinesfalls dem Gehorsam gegenüber Allah und Seinem Gesandten, Allahs frieden und Segen auf ihm gleichgestellt ist. Im Islam gibt es keine solche Institution wie eine "unfehlbare Kirche, die vor Irrtümern geschützt und vom Heiligen Geist geleitet ist". Das Recht, Verantwortlichen zu widersprechen, impliziert selbst für das unbedeutendste Mitglied der Gemeinschaft freie Meinungsbildung im vollen Umfang. (Darjabaadi)

Der Begriff "Ulu-l-Amr" bezieht sich nicht nur, wie oft angenommen wird, auf Regierende eines islamischen Staates, sondern umfasst auch alle solche Führungskräfte der muslimischen Gemeinschaft, die einen Einfluss auf ihre Angelegenheiten ausüben, seien es führende Denker und Autoren, religiöse Gelehrte, politische Führer, Richter oder Vorsteher örtlicher sozialer, kultureller, städtischer oder lokaler Organisationen. Solange diese Allah und Seinem Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, gehorchen, ist es Pflicht der Muslime, ihnen zu folgen. Sobald sie aber in Konflikt mit den Geboten Allahs und Seines Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm,  geraten, müssen die Muslime ihnen den Gehorsam verweigern. Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, sagte ausdrücklich: "Es gibt keinen Gehorsam gegenüber geschaffenen Wesen, wenn damit Ungehorsam dem Schöpfer gegenüber verbunden ist." (Siddiqi)

162. Die entscheidende Instanz bei unterschiedlichen Standpunkten, beispielsweise in neu entstandenen Situationen, ist Allah und Sein Gesandter, Allahs Frieden und Segen auf ihm, nämlich Allahs Gesetz und die Sunnah (Lebenspraxis) des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm. (Qutb)

Vergleiche auch Aja 65 dieser Suura. (Asad)

Führt, bei verschiedenen Standpunkten, die Angelegenheiten auf die Anordnungen zurück, die genau diesem Sachverhalt betreffen. Gibt es solche nicht, so wird nach den allgemeinen Grundsätzen der Gesetzgebung Allahs verfahren. Und es gibt in dieser Religion ganz klare Grundsätze, die, die wesentlichen Bereiche des Lebens abdecken. (Qutb)

163. Dies ist besser für euch und hat einen vortrefflichen Ausgang. Diese Art des Vorgehens dient nicht nur dazu, Allahs Wohl­wollen und die Belohnung im Jenseits zu erlangen, was eine großartige Sache wäre, sondern auch zum Wohle in dieser Welt und führt zu besseren Ergebnissen für den Einzelnen und die Gemeinschaft. (Qutb)

Im Zusammenhang mit Suura 3:26 gelesen, wo Allah als der "Herr der Herrschaft" bezeichnet wird und somit als die letzte Quelle aller moralischen und politischen Autorität, definiert dieser Abschnitt eine grundlegende Verhaltensnorm für den einzelnen Mu’min sowie eine konzeptuelle Basis für die islamische Staatsführung. Politische Macht ist ein Vertrauenspfand (emane) von Allah; Sein Wille, wie er im Gesetz des Islam zum Ausdruck kommt, ist die wirkliche Quelle aller Souveränität. (Asad)

 

Abschnitt 9

60. Hast du nicht jene gesehen, die behaupten, dass sie an das den Imaan verinnerlichen,164 was dir (als Offenbarung) herabgesandt worden ist und was vor dir (als Offenbarung) herabgesandt worden ist? Sie wollen sich bei Rechtstreitigkeiten an böse Mächte wenden165, wo ihnen doch geboten worden ist, nicht an sie zu glauben. Doch Scheytaan will sie weit in die Irre führen.

164. Dies bezieht sich direkt auf die Munafiqs (Heuchler) von Medina, aber die Formulierung ist allgemeingültig, und die Heuchelei ist ein Übel, mit dem man sich in jedem Zeitalter auseinandersetzen muss. Heuchler erklären sich nach außen hin immer als auf der Seite von Recht und Wahrheit stehend, während sie insgeheim mit Ungerechtigkeit und Übel paktieren und die Ungerechtigkeit sogar zu ihrem Schiedsrichter machen, wenn damit ihren persönlichen Interessen gedient ist. (Juusuf 'Allii)

165. Es ist merkwürdig, dass Leute behaupten, an das den Imaan zu verinnerlichen, was dem Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, und früheren Gesandten offenbart wurde, diese Behauptung aber gleichzeitig durch ihre Handlungsweise widerlegen, indem sie sich im entscheidenden Augenblick an etwas anderem -einer anderen Entscheidungsinstanz, Lebensweise oder Autorität -orientieren, einer "dämonischen Macht" (tadschut), die nicht aus der Offenbarung schöpft und weder Ordnung noch Maßstab von dieser ableitet. Dieser Macht werden somit göttliche Eigenschaften zugesprochen. Und das geschieht nicht etwa aus Unwissenheit oder Ungewissheit, sondern die Heuchler handeln bewusst und wissen genau, dass es ihnen verboten ist, sich an tadschut zu orientieren. (Qutb)

Vergleiche auch Suura 2:256 und 4:51 mit Fußnoten. (Anm. d. Übers.)

 

61. Und wenn ihnen gesagt wird: "Kommt doch herbei zu dem, was Allah (als Offenbarung) herabgesandt hat und zum Gesandten," dann siehst du, wie die Heuchler abweisend dir den Rücken kehren.166

166. Die Heuchler von Medina wandten sich nur in solchen Fällen an den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, in denen voraussichtlich zu ihren Gunsten entschieden werden würde. Ähnliches gilt für heutige Heuchler: Sie sind stets bereit, die Entscheidungen des islamischen Gesetzes anzunehmen, wenn diese zu ihren Gunsten ausfallen, andernfalls orientieren sie sich nach jedem beliebigen Gesetz, Brauchtum oder Gerichtsentscheid, von dem sie eine Bestätigung ihrer persönlichen Interessen erwarten. (Mauduudi)

Dieser Abschnitt berührt ein weit verbreitetes psychologisches Problem des Imaans. Wer nicht davon überzeugt ist, dass eine Realität jenseits der menschlichen Wahrnehmung existiert, findet es in der Regel schwierig, seine ethischen Anschauungen von seinen persönlichen Vorlieben und fragwürdigen Wünschen zu unterscheiden -mit dem Ergebnis, dass er sich oft bereitwillig, ,an der Stimme des Bösen orientiert". Auch wenn er halbherzig zugesteht, dass einige der auf der Offenbarung (in diesem Fall dem Qur’an) beruhenden moralischen Lehren "einen gewissen Wahrheitsgehalt" haben, hält er doch instinktiv Abstand von den Lehren selbst, sobald sie in Konflikt mit dem kommen, was ihm persönlich als begehrenswert erscheint. Auf diese Weise wird er ein Heuchler im tiefsten religiösen Sinne des Wortes. (Asad)

 

62. Doch wie (wird es sein) wenn sie ein Unglück trifft167 für das, was ihre Hände vorausgeschickt haben?168 Dann kommen sie zu dir und schwö­ren bei Allah: "Wahrlich, wir wollten nichts anderes als das Gute und Versöhnung!“169

167. Dieses Unheil könnte sie treffen, wenn eines Tages ihr wahres Sein inmitten der muslimischen Gemeinschaft aufgedeckt wird und sie von den Muslimen gemieden werden. Für die muslimische Gemeinschaft ist es nämlich unerträglich, unter sich Menschen entdecken zu müssen, die vorgeben, an Allah und Seine Offenbarung den Imaan zu verinnerlichen, die aber dazu neigen, sich an etwas anderem als an Allahs Gesetz orientieren und sich abwenden, wenn sie dazu aufgerufen werden. Dieses Unheil könnte aber auch eine Heimsuchung sein, die sie zum Nachdenken und zum richtigen Verhalten veranlasst. (Qutb)

168. Was ihre Hände vorausgeschickt haben: eine Anspielung auf ihre ambivalente Haltung und die Verwirrung, die diese für andere verursacht haben mag. (Asad)

169. Sie werden sich darauf berufen, dass es lediglich ihr Ziel war, die Ethik des Qur’ans mit einem "humanistischen" (menschen­zentrierten) Weltbild in Einklang zu bringen: dieses Argument lehnt der Qur’an als Heuchelei und Selbstbetrug ab. (vergleiche Suura 2:11-12). (Asad)

Die Heuchler wollten sich bei solchen Anlässen damit herausreden, dass sie dem Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm,  nach außen hin durchaus die Entscheidungsgewalt zugestanden; ihre Orientierung an anderen Instanzen sei lediglich geschehen, um Einigkeit und Harmonie zwischen den streitenden Parteien herbeizuführen, nicht einer verbindlichen Entscheidung wegen. (Darjabaadi)

 

63. Sie sind es, von denen Allah weiß, was in ihren Herzen ist. Darum wende dich von ihnen ab,170 ermahne sie und sprich Worte zu ihnen, die ihre Seelen erreichen.171

170. Wie sollte man sich nun Heuchlern gegenüber verhalten? Ihnen zu vertrauen wäre selbstverständlich eine Dummheit. Gewaltsam gegen sie vorzugehen würde jede Hoffnung ausschließen, sie jemals zur Umkehr zu bewegen und von ihrer Heuchelei zu befreien. Der Muslim hält sich von ihren Tücken fern, zögert aber gleichzeitig nicht, ihnen ihren Irrtum aufzuzeigen und zur rechten Zeit das rechte Wort zu sprechen, das in ihr Herz eindringt und sie zu Allah zurückbringt. (Juusuf 'Allii)

171. Die Heuchler versuchen, sich mit Argumenten herauszureden, aber Allah kennt ihre geheimen Gedanken und verborgenen Absichten. Folgende Politik wurde in dieser Zeit gegenüber den Heuchlern angewandt: mit ihnen Nachsicht haben, und sie mit Güte zu behandeln und sie ununterbrochen zu ermahnen, und zu belehren und zwar mit Worten, die unmittelbar in ihre Seelen eindringen und in ihren Herzen haften bleiben. Auf diese Weise wird ihr Wunsch nach Umkehr, Reue, Redlichkeit und Übereinstimmung mit Allah und Seinem Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, geweckt, trotz ihrer Neigung zur Abgötterei und ihrer Antipathie gegen den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, denn die Tür zur Vergebung steht offen und es ist nie zu spät zur Rückkehr zu Allah und dem Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm. (Qutb)

 

64. Und Wir haben keinen Gesandten geschickt, außer damit ihm gehorcht werde172 mit Ermächtigung Allahs.173 Und wenn sie doch nur, nachdem sie gegen sich selbst unrecht gehandelt haben, zu dir gekommen wären und Allah um Verzeihung gebeten hätten, und der Gesandte hätte für sie um Verzeihung gebeten, dann hätten sie Allah gewiss verzeihend bannherzig gefunden.

172. Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, ist nicht einfach ein "Prediger", der seinen Spruch aufsagt, um dann zu gehen, wie es von denen behauptet wird, die, die Bedeutung der Religion und der Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, nicht begriffen haben. Die Religion ist der Weg des wirklichen Lebens und umfasst alle Lebensbereiche. Ihre Werte zu verwirklichen ist der Sinn des Prophetentums. (Qutb)

173. Der Ausdruck "mit Ermächtigung Allahs" ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als "mit Allahs Hilfe" oder "durch Allahs Gnade" (Samachsari, Rasi). Wie an vielen anderen Stellen im Qur’an soll der plötzliche Wechsel von dem Pronomen "Wir" oder "Ich" zu "Er" oder von "Wir" zu "Allah" im gleichen Satz den Leser und Hörer darauf aufmerksam machen, dass Allah nicht einfach eine "Person" ist, sondern eine allumfassende Macht, die mit der begrenzten Reichweite menschlicher Sprache nicht definiert oder auch nur angemessen zum Ausdruck gebracht werden kann. (Asad)

 

65. Doch nein, bei deinem Herrn! Sie haben den Imaan nicht (wirklich) verinnerlicht, bevor sie dich nicht zum Richter machen über das, worüber sie miteinander streiten und danach innerlich nicht ärgerlich und bedrückt sind wegen dessen, was du beschlossen hast, und sich in völliger Ergebenheit fügen.174

174. Imaan besteht nicht nur in einem Lippenbekenntnis, sondern darin, dass wir uns mit allen unseren Zweifeln und Zwiespältigkeiten an den wenden, an den wir den Imaan verinnerlicht haben. Wenn dann eine Entscheidung getroffen wird, sollen wir diese nicht nur akzeptieren, sondern in unserem Innersten keine Schwierigkeiten und Vorbehalte finden und freudig zustimmen, wie es unserer eigenen Imaan entspricht. (Juusuf ’Allii)

Die Gebote des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, ausgesprochen unter dem Einfluss der Inspiration Allahs und mit dem Ziel, die Botschaft des Qur’an zu veranschaulichen und den Mu’min zu ermöglichen, sie auf eine tatsächliche Situation anzuwenden, bilden die Sunnah (wörtlich: Lebensgewohnheiten) des Propheten Muhammad, Allahs Frieden und Segen auf ihm. Sie sind (wenn sie einwandfrei authentisch sind) neben dem Qur’an rechtlich verbindlich. Siehe auch Aja 80 dieser Suura. (Asad)

 

66. Und wenn Wir ihnen vorgeschrieben hätten, dass sie ihr Leben opfern175 oder ihre Häuser verlassen sollen, dann würden sie es nicht tun außer einigen wenigen von ihnen. Doch wenn sie tun würden, wozu sie ermahnt worden sind, dann wäre es wahrlich besser für sie und würde (ihren Imaan) umso mehr festigen,

175. Wörtlich: Sich töten. (Anm. d. Übers.)

Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, wusste, dass es unter seinen Anhängern einige gab, die, die schwersten Aufgaben tatkräftig anpacken würden, falls sie ihnen vorgeschrieben würden. Er wusste aber zugleich, dass die Religion nicht nur für diese besondere Minderheit aus der gesamten Menschheit gemacht wurde. Da Allah die Natur des Menschen, den Er erschaffen hat, genau kannte, schrieb Er ihm in der Religion, die für alle Menschen gemacht ist, nur das vor, was leicht erreichbar ist, wenn dazu der Entschluss gefasst wird, und der Wille, Allah zu gehorchen, unerschütterlich fest steht. (Qutb)

Mu’mins opfern bereitwillig ihr Leben, ihre Heimat und alles, was ihnen lieb und teuer ist, für Allahs Sa­che. Wer keinen solchen starken Imaan hat, sollte zumindest das tun, was ein treues Mitglied jeder Gesellschaft tun würde, nämlich sich mit seinen Zweifeln und Zwistigkeiten an das Oberhaupt dieser Gesellschaft wenden und bereitwillig seiner Entscheidung zustimmen. Ein scharfer Gegensatz besteht zwischen den Heuchlern, die nicht einmal das tun wollen, und den mu’min Männern und Frauen, die freiwillig ihr Leben opfern würden. (Juusuf ’Allii)

Die Bezugnahme auf die Aufopferung des Lebens für die Verteidigung des Islams und der Freiheit enthält einen Hin­weis auf den langen Abschnitt, der mit Aja 71 beginnt und vom Kampf in Allahs Weg handelt. (Asad)

Die Heuchler haben einerseits nicht Mut genug, dem Islam offen gegenüberzutreten, und andererseits wagen sie nicht, auf die materiellen Vorteile zu verzichten, die sie durch die muslimische Gesellschaft erlangen. Hier werden sie darauf hingewiesen, dass ihre Heuchelei sehr einfach dadurch geprüft werden kann, dass sie aufgefordert werden, ihr Leben zu opfern und ihre Heimat zu verlassen. Trotz ihrer lautstarken Treueproklamationen gegenüber dem Islam würden sie dann versagen. Der Aja enthält auch eine Anspielung auf Suura 1:54, wo die Kinder Israel aufgefordert werden, sich selbst zu töten. (Siddiqi)

 

67. Und dann hätten Wir ihnen wahrlich gewaltigen Lohn von Uns gewährt,

68. Und sie wahrlich auf den geraden Weg geleitet.176

176. Vier Vorzüge des Gehorsams gegenüber Allah werden hier in der Reihenfolge erwähnt, wie sie einen Anfänger auf dem Weg des Islams ansprechen:

1. sein eigener Vorteil ("das Beste für sie"),

2. Stärkung seines Imaans, wenn er tiefer in die geistige Welt hineinwächst,

3. als Belohnung durch Allahs Gegenwart, eine solch starke Überzeugung, dass keine weiteren Argumente und Beweise mehr notwendig sind,

4. der rechte oder gerade Weg, wo es keinerlei Zweifel oder Schwierigkeiten in unserem praktischen Verhalten mehr gibt. (Juusuf 'Allii)

Führung auf den geraden oder rechten Weg hängt von drei Dingen ab: der Liebe zu Allah und Seinen Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm; dem ernsthaften Wunsch, ihren Geboten mit Sorgfalt und Bereitschaft zu folgen; und der Bereitschaft, für Allahs Sache das höchste Opfer zu bringen. (Siddiqi)

 

69. Und. diejenigen, die Allah und dem Gesandten gehorchen, sind mit denen, denen Allah Gnade erwiesen hat aus der Zahl der Propheten, der Wahr­haftigen, der Bezeugenden, der Gerechten. Und das sind die besten Gefährten!177

177. Nach Überlieferungen wurde erzählt, dass ein Mann aus den, ,Ansar" traurig zum Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, gekommen sei. Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm,  fragte ihn: "Warum sehe ich dich betrübt?" Der Mann sagte: ,,O du Prophet Allahs, es ist wegen etwas, worüber ich nachgedacht habe." Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, fragte: "Und was wäre das?" Der Mann sagte: "Wir kommen zu dir und gehen weg, wir schauen dich an und sitzen mit dir zusammen, und eines Tages wirst du zu den anderen Propheten erhoben und wir können dich nicht erreichen." Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, antwortete ihm nicht, bis der Engel Dschibril mit diesem Aja zu ihm kam. Sodann schickte der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm,  nach ihm und brachte ihm die frohe Botschaft. (Qutb)

Dieser Aja wurde offenbart, um die Gefährten des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, zu trösten, die ihn innig liebten. Sie wollten wissen, ob sie im zukünftigen Leben mit ihm und anderen hervorragenden Muslimen zusammen sein dürften, weil diese doch durch ihre großen Verdienste einen hohen Rang einnehmen werden. Allah sagt ihnen in diesem Aja, dass alle, die Allah und Seinem Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, gehorchen, einen hohen Rang im Paradies bekommen und die Gesellschaft der Propheten, der Aufrichtigen, der Märtyrer und der Rechtschaffenden genießen dürfen. Dies ist selbstverständlich nicht dahingehend mit zu verstehen, dass es möglich wäre, selbst nicht nur den Rang eines Aufrichtigen, Märtyrers oder Rechtschaffenden, sondern den eines Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, zu erlangen. Das Prophetentum ist eine besondere Gnade Allahs, die mit dem Propheten Muhammad -Friede sei mit ihm -vervollständigt wurde und auf Allahs eigener Wahl und Entscheidung beruht. Es ist ein Ausdruck besonderer Barmherzigkeit Allahs, die nicht durch eigenes Streben erlangt werden kann. (Siddiqi)

Selbst der unbedeutendste Mensch, der den Imaan verinnerlicht und Gutes tut, wird zu einem Mitglied einer großen und schönen geistigen Gemeinschaft, die beständig im Licht der Bannherzigkeit Allahs lebt. Dieser Aja illustriert teilweise Suura 1:5. Vier besondere Grade der Abstufung werden hervorgehoben:

1) Der höchste Rang ist der, der Propheten und Gesandten, die Allahs Offen­barung empfangen und die Menschheit durch Gebote und Beispiele lehren.

2) Am nächsten stehen ihnen diejenigen, die durch Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit hervorgetreten sind. Sie Zeigen und unterstützen die Wahrheit mit ihrer eigenen Person, ihren Mitteln, ihrem Einfluss und allem, was ihnen zur Verfügung steht. Dies trifft beispielsweise auf die besonderen Sahaba zu, etwa Abuu Bakr Siddiq.

3) Als nächstes kommt das hervorragende Heer der Zeugen, die für die Wahrheit eintreten. Dieses Zeugnis kann Märtyrertum bedeuten oder es geschieht durch den Mund eines wahrhaftigen Predigers oder die Feder eines ergebenen Gelehrten oder das Leben eines Menschen, der sich dem Dienst Gottes widmet.

4) Schließlich gibt es die große Gemeinschaft der Rechtschaffenen, die als gewöhnliche Menschen ihrer gewöhnlich Beschäftigung nachgehen, aber immer auf gerechte und rechtschaffene Weise. (Juusuf 'Allii)

 

70. Das ist die Huld Allahs. Und es genügt, dass Allah alles weiß.178

178. Wenn ein großzügiger Feldherr einem gewöhnlichen Soldaten das Privileg einräumt, mit seinen Kameraden und Offizieren jeden Ranges in einer gemeinsamen Bruderschaft beisammen zusitzen, dann wundert sich vielleicht mancher, wie das möglich sein kann. Wenn wir zu dieser im vorigen Aja erwähnten Gemeinschaft zugelassen werden, dann fragen wir nicht weiter. Es genügt uns, dass Allah unsere Geringfügigkeit und Unwürdigkeit kennt und uns trotzdem zu dieser herrlichen Gemeinschaft hinzuzählt. (Juusuf 'Allii)

 

Abschnitt 10

71. O die ihr den Imaan verinnerlicht habt! Ergreift Vorsichtsmaßnahmen179 und rückt (entweder) in Trupps oder alle zusammen aus.180

179. Seid wachsam und bereit, mit Waffen und allem, was notwendig ist. (Darjabaadi)

180. Ohne entsprechende Vorbereitung und Vorkehrungen sollten sich die Muslime auf keinen Kampf einlassen. Dann aber sollten sie mutig vorwärts schreiten. "Geht voran!" oder "Rückt aus!" wird deshalb der Betonung wegen wiederholt. Voranschreiten aber müssen wir in einem gemeinschaftlichen Sinne, nicht in selbstsüchtiger Haltung -alle zusammen oder in kleinen Gruppen, wie es uns befohlen wird, ohne zu zögern wie die in den nächsten beiden Ajas erwähnten Zweifler. (Juusuf 'Allii)

Der Begriff "alle zusammen" bezieht sich auf das, was man heute als "totalen Krieg" bezeichnet. Das Problem des Krieges an sich beruht darauf, dass die Muslime, wenn sie ihr Gemeinschaftsleben im Rahmen eines nach den Lehren des Qur’an ausgerichteten Staatswesens organisieren, mit Feindseligkeiten anderer Gruppen oder Nationen rechnen müssen, die dem Weltbild und der sozialen Ordnung des Islam ablehnend gegenüberstehen und sie aus der Welt schaffen wollen. Folglich spielt die Vorstellung eines Verteidigungskriegs für Allahs Sache (Dschihaad) eine wichtige Rolle im sozipolitischen Gefüge des Islam und wird im Qur’an immer wieder erwähnt. (Asad)

 

72. Und gewiss ist unter euch manch einer, der zögernd (zurückbleibt). Und wenn euch ein Unglück zustößt, sagt er: „Gott war doch fürwahr gnädig gegen mich, dass ich nicht bei ihnen zugegen war."181

181. Der Zweifler distanziert sich in Gedanken und Tat von der Gemeinschaft. Wenn die Gesamtheit eine Niederlage erleidet, dankt er Allah, dass er nicht dabei war, statt sich seiner Feigheit zu schämen. Wenn die Gesamtheit einen Erfolg erringt, freut er sich nicht für die gemeinsame Sache, sondern bedauert nur still für sich selbst, keinen Anteil an dem Ruhm und Gewinn zu haben! (Juusuf 'Allii)

 

73. Doch wenn euch Huld von Allah zuteil wird, dann wird er gewiss sagen, als ob es zwischen euch und ihm keine (Bande der) Freundschaft gegeben hätte: "Wehe mir!182 Wäre ich doch nur bei ihnen gewesen, dann hätte ich einen großartigen Erfolg erringen können."183

182. Er trauert lediglich dem persönlichen Beute- und Ehrverlust nach. ohne Freude am Erfolg der Muslime. (Darjabaadi)

183. Der Gedankengang eines Egoisten! Solche Menschen sind weit davon entfernt, für ihre Gemeinschaft eine Quelle der Kraft zu sein. (Juusuf ’Allii)

 

74. So sollen jene auf dem Pfad Allahs kämpfen, die das Jenseits mit dem Diesseits erkaufen wollen. Und wer auf dem Pfad Allahs kämpft, dem werden Wir gewaltigen Lohn gewähren ob er nun getötet wird oder siegt.184

184. Für die Sache Allahs zu kämpfen, ist der einzige Kampf, den der Islam anerkennt. Er erkennt den Kampf nicht an, der um der Beute willen geschieht. Und auch nicht den, der entfacht wird, um die Herrschaft zu erringen oder gar die persönliche oder nationale Ehre hochzuhalten. Und wenn der Muslim für die Sache Allahs ausrückt, um Allahs Wort zu verwirklichen und Seinen Gesetzen Macht zu verleihen, und wird dabei getötet, dann gilt er als Märtyrer. Wenn er aber ein anderes Ziel vor Augen hat, so gilt er nicht als solcher und hat keine Belohnung bei Allah zu erwarten. (Qutb)

Der Kampf auf dem Wege Allahs dient der Befreiung des Menschen von menschlicher Unterdrückung zum Dienst an dem Einzigen Gott, Der keinen Partner hat. Ein Muslim setzt seine Person und sein Eigentum auf dem Wege Allahs ein, um Werte zu verwirklichen, bei denen es weder für persönlichen Gewinn noch für Gier und Ehrgeiz einen Platz gibt. Bevor ein Muslim das äußere Schlachtfeld betritt, hat er bereits in seinem eigenen Inneren einen größeren Kampf gegen den Scheytaan angetreten: gegen seine eigenen Wünsche und Ambitionen, persönlichen Interessen und Neigungen, die Interessen seiner Familie oder Nation -gegen alles, was ihn daran hindert, Allah allein zu dienen. Nicht jeder -am allerwenigsten Opportunisten und Feiglinge -sind für den Kampf auf dem Wege Allahs geeignet. Dies ist ein Privileg, und wer dieses Privileg richtig begreift, der opfert seine gesamten Interessen in diesem Leben und sogar dieses Leben selbst, denn er weiß, dass er etwas Vergängli­ches und Wertloses aufgibt für etwas Ewiges und Wertvolles. Ober er (dem äußeren Anschein nach) Erfolg oder Misserfolg erntet -in Wirklichkeit erringt er den Preis, für den er sich eingesetzt hat, nämlich Ehre und Ruhm in Allahs Gegenwart. Die einzigen Alternativen hier sind Tod oder Sieg. Der wahre Kämpfer kennt keine Niederlage. (Juusuf 'Allii)

 

75. Und was ist mit euch, dass ihr nicht kämpft auf dem Pfad Allahs185 und für die Unterdrückten186 unter den Männern, Frauen und Kindern, jenen, die sagen: "Unser Herr, bringe uns aus dieser Stadt heraus, deren Einwohner ungerecht sind und gewähre uns von Dir einen Beschützer und gewähre uns von Dir einen Helfer.187

185. Kampf auf den Wege Allahs hat folgende Gründe: Allahs Herrschaft auf Erden zu verwirklichen; die menschlichen Angelegenheiten der Rechtleitung Allahs gemäß zu gestalten; alle dämonischen Kräfte und Systeme zu entmachten; der Unterdrückung von Menschen durch Menschen ein Ende zu setzen, denn alle Menschen sind Allahs Geschöpfe, und niemand hat das Recht, andere zu versklaven oder ihnen willkürliche Gesetzte aufzuzwingen. Es ist hierbei stets zu bedenken, dass es keinen Zwang im Diin geben darf (vergleiche Suura 2:256); sobald die Menschen also von der Herrschaft anderer Menschen befreit sind, kann niemand sie zwingen, ihre Anschauungen zu ändern und den Islam anzunehmen.

186. "Mustad'af" مُسْتَضْعَفِ: jemand, der als schwach angesehen und deshalb misshandelt und unterdrückt wird. Vergleiche Suura 4:98 und 7: 150. (Juusuf 'Allii)

Kampf zur Befreiung unterdrückter Männer, Frauen und Kinder ist ein wichtiger Aspekt des Dschihaad im Islam. Der Aja bezieht sich hier direkt auf die schwachen muslimischen Männer, Frauen und Kinder, die bei der Auswanderung in Mekka zurückgelassen werden mussten und von den Quraisch misshandelt wurden, hat aber eine viel weitere, allgemeingültige Bedeutung. (Siddiqi)

187. Selbst vom menschlichen Schwerpunkt her gesehen ist die Sache Allahs die Sache der Gerechtigkeit, die Sache der Unterdrückten. In der großen Verfolgung vor der Wiedergewinnung von Mekka hatten alle, die unerschütterlich an dem Islam festhielten, unbeschreibliche Qualen, Drohungen, Folter und Unterdrückung zu erleiden. Muchammeds, Allahs Frieden und Segen auf ihm, Leben und das seiner Anhänger war in Gefahr, sie wurden verspottet, beleidigt, geschlagen, überfallen und diejenigen, die von ihren Feinden abhängig waren wurden in Ketten gelegt und gefangen gehalten, andere wurden boykottiert und von Handel, Gewerbe und sozialen Beziehungen ausgeschlossen, sie konnten nicht einmal ihre tägliche Nahrung erwerben und ihren religiösen Pflichten nachkommen. Nach der Auswanderung wurde die Verfolgung für die muslimischen Sklaven, Frauen und Kinder nach vervielfacht. Ihr Gebet um einen Helfer von Allah wurde erhört, als Muchammed, Allahs Frieden und Segen auf ihm,  der Stadt Mekka wieder Frieden und Freiheit brachte. (Juusuf 'Allii)

 

76. Diejenigen, die den Imaan verinnerlicht haben, kämpfen auf dem Pfad Allahs und diejenigen, die kaafir sind, kämpfen auf dem Pfad des Bösen188 (so) kämpft gegen die Verbündeten189 Scheytaans. Wahrlich, die List des Scheytaans besitzt keine Kraft.190

188. In Allahs Sicht gibt es zweierlei Kämpfer. Die einen sind die Mu’mins, die sich für Allahs Sache einsetzen, um Sein Recht und Gesetz auf Seiner Erde zu verwirklichen; jeder aufrichtige Mu’min ist hierzu verpflichtet. Die anderen sind die Kaafir, die für Mächte des Bösen, (vergleiche Suura 2:256, 4:51 und 4:60) kämpfen und die Gottlosen auf Allahs Erde an die Macht bringen wollen -kein Mu’min würde für sie Partei ergreifen. (Mauduudi)

189. Aulija: Plural von Wall, Freund, Helfer, Beschützer; von der gleichen Wurzel wie maula, siehe Suura 4:33. (Juusuf 'Allii)

Vergleiche auch Suura 2: 107, 2:257, 4:45, 8:34 und viele andere. (Anm. d. Übers.)

190. Scheytaan ist nach islamischer Vorstellung keine fürchterliche Macht, vor der ein Mensch in Panik gerät. Wahre Mu’mins sollten ihn verachten, und auf lange Sicht wird seine Macht überwunden. Keinesfalls ist er eine Art Gottheit oder Halbgott­heit des Bösen, die beschwichtigt werden muss. (Darjabaadi)

Der Qur’an lehrt, dass das Böse nicht ein unabhängiger, esoterischer Faktor im Dasein ist, sondern eine Folge davon, dass der Mensch seinen eigenen moralischen Schwächen nachgibt und dabei "die Wahrheit ablehnt". Mit anderen Worten, die Macht des durch Scheytaan symbolisierten negativen Prinzips ist nicht wirklich in sich -sie wird nur wirklich durch die Entscheidung des Menschen, sich falsch zu verhalten. (Asad)

 

Abschnitt 11

77. Hast du nicht jene gesehen, denen gesagt worden ist: "Zügelt eure Hände (von Gewalthandlungen)191 und verrichtet das Gebet und gebt Saka."192 Als ihnen jedoch der Kampf vorgeschrieben wurde,193 da fürchteten einige von ihnen die Menschen so wie sie vor Allah Furcht empfinden sollten oder mit noch heftigerer Furcht. Und sie sagten: "Unser Herr, warum hast Du uns den Kampf auferlegt? Möchtest Du uns nicht Aufschub gewähren (und sei es auch nur) für eine kurze Frist?"194 Sprich: "Die Genüsse dieser Welt sind gering. Und das Jenseits ist besser für die, die mutaqi sind. Und euch wird nicht im geringsten unrecht getan."195 

191. "Haltet eure Hände zurück" -von unrechtmäßiger Gewaltanwendung, zu welcher der Mensch oft neigt. Die Tatsache, dass vielen Menschen geboten werden muss, sich von Gewalthandlungen zurückzuhalten, wird im nächsten Satz ihrem Widerwillen gegenübergestellt, sich einer gerechten Sache wegen Gefahren auszusetzen. (Asad)

Der Text drückt Verwunderung aus über eine Gruppe von Muslimen in Mekka, die Folter und Unterdrückung erleiden mussten, und die deshalb um Erlaubnis baten, die Götzendiener zu bekämpfen, was ihnen zu der Zeit nicht erlaubt wurde aufgrund einer Weisheit Allahs. Als ihnen dann in Medina der Kampf vorgeschrieben wurde, nachdem sich der Islam zu einer Macht erhoben hatte, und Allah wusste, dass es der Menschheit einen Nutzen bringen würde, haben sie plötzlich, wie der Qur’an es ausdrückt "die Menschen gefürchtet wie Allah oder sogar mehr". Aber warum wurde den Muslimen in Mekka nicht erlaubt, sich durch Gewaltanwendung für die Ungerechtigkeit zu rächen und die Übergriffe zurückzu­schlagen? Die Weisheit der Anordnung, nicht zu kämpfen und statt dessen die Gebete zu verrichten, Sakach zu geben und sich geduldig zu zeigen angesichts der schrecklichen Folterungen, denen sie ausgesetzt waren, können wir letztlich nicht ergründen, da wir dann auf Allah etwas zurückführen würden, was Er nicht dargelegt hat. Unter diesen Aspekt versuchen wir, einige mögliche Gründe für das Verbot zur damaligen Zeit zu erforschen, was sowohl zutreffend als auch nicht zutreffend sein könnte.

a. Die mekkanische Phase könnte eine Phase der Erziehung und der Vorbereitung unter bestimmten Bedingungen gewesen sein. Eines der Ziele dieser Erziehung wäre, dem Araber Geduld beizubringen, die er zuvor nicht kannte und sein Temperament zu zügeln, so dass er nicht spontan reagiert, wenn ihm etwas zustößt. Somit werden seine Natur und sein Tun von Ausgewogenheit geprägt.

b. Die friedliche Botschaft könnte nicht Wirkung zeigen unter den Quraisch, die voller Stolz und Hochmut waren.

c. Vielleicht sollte vermieden werden, dass ein Kampf in jedem Haus entstände und gesagt würde: Dies ist der Islam der, zwischen Vater und Sohn und zwischen die einzelnen Familienverbände einen Keil treibt und sie voneinander trennt.

d. Der Grund dafür hätte auch sein können, dass Allah viele dieser hartnäckigen Widersacher eines Tages zu treuen islamischen Kämpfern, ja zu den besten Führern umwandeln würde, wie zum Beispiel ’Umar ibn Al-Hattab.

e. Die Zahl der Muslime war klein. Sie waren auf Makkach beschränkt, weil die Botschaft die übrige arabische Halbinsel noch nicht erreicht hatte. Ein Kampf hätte vielleicht dazu geführt, dass die kleine islamische Gruppe vernichtet worden wäre, bevor der Islam sich hätte ausbreiten können.

f. Eine Notwendigkeit für den Kampf war damals nicht gegeben, denn der Hauptträger der Botschaft war zugegen. Sie

war verkörpert in der Person des Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, der unter dem Schutz der Banu Haschim stand. Deshalb konnte er seine Botschaft, im kleinen wie im großen offen verkünden, ohne dass jemand ihn daran hätte hindern können. (Qutb)

192. Zu Saka siehe Suura 2 Aja 43 und Fußnote 58 dazu. (Anm. d. Übers.)

193. Dieser Aja hat drei Bedeutungen, bezogen auf drei verschiedene Arten von Menschen, und der arabische Text ist so umfassend, dass er auf alle drei angewendet werden kann.

1. Gerade diejenigen, die hier Kampfunwilligkeit zeigen, hatten zuvor ständig über ihre Verfolgung und Unterdrückung geklagt und Erlaubnis zum Widerstand gefordert, weil ihre Geduld nicht mehr ausreichte. Als sie zur Geduld ermahnt und aufgefordert wurden, sich innerlich durch Gebet und Freigebigkeit zu reinigen, ärgerten sie sich darüber. Sobald ihnen aber der Kampf befohlen wurde, kam ihre Feigheit gegenüber dem Feind und den Gefahren des Krieges zum Vor­schein.

2. So1ange nur die Forderung nach Gebet und Freigebigkeit bestand, erwiesen sich gewisse Menschen als sehr "religiös", aber kaum wurde ihnen befohlen, im Wege Allahs zu kämpfen, erfasste sie Angst um ihr Leben, und sie vergaßen ihre ganze Religiosität.

3. In vorislamischer Zeit waren sie bereit, für Beute oder nur zur Unterhaltung zu kämpfen, und waren ständig in Fehden verstrickt. Deswegen wurden sie nach ihrer Bekehrung zum Islam vom Kampf zurückgehalten und ermahnt, sich durch Gebet und Freigebigkeit innerlich zu reinigen'. Als sie später zum Kampf aufgefordert wurden, zeigten dieselben Menschen, die früher kühn und rücksichtslos aus falschem Stolz gestritten hatten, Schwäche und Feigheit. (Mauduudi)

Krieg und Kampf aus weltlichen Beweggründen ist immer falsch. (Juusuf "Allii)

194. "Unsere natürliche Lebenszeit', argumentierten sie, "ist kurz genug. Warum sollten wir da unser Leben gefährden, wenn im Kampf nicht einmal persönliche Vorteile zu erwarten sind?" Die Antwort beginnt in diesem Aja und wird im nächsten fortgesetzt. Kurz zusammengefasst lautet sie:

1. Die Annehmlichkeiten dieser Welt sind jedenfalls kurz; dieses Leben ist vergänglich, deswegen soll ein rechtschaffener Mensch sich zu aller erst von seinen Verlockungen befreien;

2. recht handeln bedeutet, seine Pflicht zu tun; wende dich deswegen in erster Linie deiner Pflicht zu;

3. Wenn die Pflicht Selbstaufopferung erfordert, dann sei sicher, dass Allahs Aufforderung niemals ungerecht ist und niemals deine Fähigkeiten übersteigt;

4. Wenn du den Tod fürchtest, dann wirst du durch diese Furcht doch nicht dem Tod entgehen; er trifft dich, wo immer du dich befindest, warum also nicht mutig dem Tod ins Auge sehen, wenn die Pflicht ruft? (Juusuf 'Allii)

195. Ihr braucht euch nicht um euren Lohn von Allah für eure Dienste in Seiner Sache zu sorgen. Wenn ihr euch in Seinem Wege auf das äußerste einsetzt, dann lässt Allah eure Mühe nicht verloren gehen. (Mauduudi)

 

78. Wo immer ihr sein möget, der Tod wird über euch kommen, selbst wenn ihr in hoch getürmten Burgen wäret.196 Und wenn ihnen Gutes zuteil wird, sagen sie: "Das ist von Allah!" Und wenn sie Übles trifft, sagen sie: "Das ist von dir (O Prophet)!"197 Sprich: "Alles ist von Allah."198 Was ist nur mit diesen Leuten, dass sie kaum verstehen können, was (ihnen) gesagt wird.199

196. Der Tod trifft eine endgültige Entscheidung zu einer festgesetzten Zeit und an einem bestimmten Ort. Er steht nicht im Zusammenhang mit Krieg oder Frieden, und auch nicht mit der Befestigung eines Zufluchtsortes oder seiner Zugänglichkeit. Weder kann er verzögert werden, indem man Mühe und Kampf scheut, noch wird er durch Anstrengung und Widerstand der Menschen im Dschihaad beschleunigt. (Qutb)

197. Die Heuchler widersprechen sich selbst; und dies ist typisch für den Menschen an sich. Wenn ihrer eigenen Dummheit wegen ein Unglück geschieht, schieben sie es jemand anderem zu; wenn sie aber erfolgreich sind, rechnen sie sich selbst aufgrund ihrer eigenen hohen Verdienste, für die "der Himmel sie besonders ausgezeichnet har' die Ehre an. Der moderne kritische Mensch verwirft sogar diesen Vorwand, verleugnet den Himmel überhaupt und schreibt alle Verdienste direkt sich selbst zu, sofern er sich nicht auf den Zufall beruft, aber das tut er meist nur, um "Misserfolge" zu erklären. Wenn wir nach der Ersten Ursache aller Dinge suchen, dann kommt alles von Allah. Suchen wir aber nach der nächstliegenden Ursache, dann ist unser eigener Verdienst so gering, dass wir, wenn wir gerecht sein wollen, kaum Verdienste für uns selbst beanspruchen können. Alles Gute liegt in Allahs Hand (Suura 3:26). Andererseits ist die naheliegende Ursache für unsere Misserfolge auf Unrecht in uns selbst zurückzuführen, denn niemals werden wir im geringsten ungerecht behandelt (Suura 4:77 und andere). (Juusuf 'Allii)

198. Dieser Abschnitt verwirft nicht nur Dualismus aller Art, sondern lässt im Bewusstsein des Mu’mins Kraft entstehen. Wenn den Muslim ein Unglück trifft, gleichgültig, wie unverschuldet es sein mag, sagt er: "Es stand geschrieben", oder "Allah ist am größten", Eine solche Disziplin bringt tapfere Soldaten und ausdauernde und zuverlässige Arbeiter hervor. Diese Lehre, jedes Ereignis auf den Einen und Einzigen zurückzuführen, hat Millionen von Menschen zu allen Zeiten Trost und Kraft gegeben. (Darjabaadi)

199. Was hindert die Heuchler, selbst die einfache Wahrheit zu begreifen, dass alles von Allah ausgehen muss und von Ihm gelenkt wird, wenn Er allein der Schöpfer, Erhalter und Herr ist? Es gibt nicht zwei verschiedene Schöpfer, die zwei verschiedene Dinge hervorbringen. Gutes und Böses, das die Muslime trifft, kommt von Allah und entspringt Seiner göttlichen Absicht, die aufrichtigen Muslime von den Heuchlern zu oder die moralische Feinfühligkeit der Muslime zu stärken. (Sidiqui)

 

79. Was immer an Gutem dir zuteil wird, das ist von Allah. Und was dich an Üblem trifft, ist von dir selbst.200 Und Wir haben dich als Gesandten zu den Menschen geschickt.201 Und Allah ist ein vortrefflicher Zeuge.

200. Nicht alles, was der Mensch als "Missgeschick" betrachtet, ist im Endeffekt schlecht, denn "es kann wohl sein, dass ihr etwas hasst, während es gut für euch ist, und dass ihr etwas liebt, während es euch schadet: und Allah weiß, ihr aber wisst nicht" (Suura 2:216). Auf diese Weise ist ein anscheinendes Unglück manchmal nichts anderes als eine Prüfung und ein gewolltes Mittel Allahs zum geistigen Wachstum und braucht nicht unbedingt das Ergebnis einer Fehlentscheidung oder schlechten Tat des betreffenden Menschen zu sein. Daraus geht deutlich hervor, dass das in diesem Vers erwähnte "Übel" oder "Missgeschick" insofern eingeschränkte Bedeutung hat, als es sich auf Übel im moralischen Sinn des Wortes bezieht, das heißt auf Leiden, das aus Handlungen und Verhalten des betreffenden Menschen folgt, entsprechend dem Naturgesetz von Ursache und Wirkung, das Allah seiner gesamten Schöpfung auferlegt hat und das der Qur’an mit "Gewohnheit Allahs" (Sunna Allah) bezeichnet. Für alles Leiden dieser Art kann der Mensch nur sich selbst tadeln, denn "Allah tut niemanden auch nur ein Stäubchen Unrecht" (Suura 4:40). (Asad)

Allah, der Erhabene, hat den Menschen die Gesetze und Wege vorgeschrieben. Er hat auf das Gute hingewiesen und vor dem Bösen gewarnt. Und wenn der Mensch diese Gesetze befolgt und diesen Weg begeht, versucht Gutes zu tun und Böses zu meiden, so wird ihm Allah dabei helfen. Und wenn der Mensch diese Gebote missachtet und den vorgeschriebenen Weg nicht einschlägt, sich nicht um das von Allah aufgezeigte Gute bemüht und sich von dem Bösen nicht fernhält, vor dem ihn Allah gewarnt hat, dann wird ihm Übles zustoßen in dieser Welt oder im Jenseits, oder auch in beiden. Dies wäre dann sein eigener Verdienst, für den er selbst die Verantwortung trägt, weil er Allahs Gebote und Weg nicht befolgt hat. (Qutb)

201. Die Aufgabe eines Gesandten ist, eine Botschaft zu übermitteln, nicht die Voraussage von Glück und Unglück. (Qutb)

Einem Gesandten Allahs unsere Missgeschicke zur Last zu legen ist doppelt ungerecht, denn er kommt ja gerade, um uns vor Unheil zu bewahren, und weil wir ihn ignorieren und verachten, bringen wir durch dieses Verhalten selbst die Strafe über uns. Wenn wir diese Wahrheit erkennen, schützt uns dies vor zwei Sünden:

1. vor Ungerechtigkeit gegen Allahs Gesandte, die unser Bestes und nicht etwa uns schaden wollen;

2. davor, dass wir uns unsere eigenen Fehler und Mängel nicht eingestehen wollen und in geistiger Finsternis leben. (Juusuf 'Allii)

 

80. Wer dem Gesandten gehorcht, der hat Allah gehorcht. Und wenn sich jemand abwendet, so haben Wir dich nicht als ihre Bewahrer202 geschickt.

202. Unser Prophet Muchammed, Allahs Frieden und Segen auf ihm, war gesandt, um zu predigen, zu leiten, zu lehren und den Weg zu weisen -nicht, um Menschen zum Guten zu drängen oder aufzudecken, was böse ist. Dies entspricht nicht Allahs Plan, der den menschlichen Willen schulen will. Pflicht des Gesandten ist deshalb, die Botschaft Allahs zu überbringen, mit allen Mitteln der Überzeugung, die ihm zur Verfügung stehen. Wenn die Menschen dieser Botschaft nicht folgen, sind sie nicht dem Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, gegenüber ungehorsam, sondern Allah gegenüber; gleichermaßen gehorcht Allah, wer dem Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, gehorcht. Sie tun nicht dem Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, einen persönlichen Gefallen, sondern kommen nur ihrer Pflicht nach. (Juusuf 'Allii)

 

81. Sie behaupten, gehorsam zu sein,203 aber wenn sie von dir weggehen, dann heckt ein Tell von ihnen nachts204 etwas ganz anderes aus, als das, was du (ihnen) sagst. Doch Allah schreibt nieder, was sie nachts aushecken. Darum wende dich ab von ihnen und vertraue auf Allah.205 Und Allah ist ein vortrefflicher Sachwalter.

203. Wörtlich: "Und sie sprechen: "Gehorsam" -bezogen auf die medinesischen Heuchler in der Zeit des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, und folglich auf die heuchlerischen "Bewunderer" und halbherzigen Anhänger des Islam aller Zeiten. (Asad)

204. Das heißt, sie versuchen heimlich, die Lehre des Gesandten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, zu entstellen. Das Verb "beyjata" بَيَّتَ  bedeutet "die Nacht verbringen"; in der Form "beyjata" bedeutet es: "er grübelt nachts (über etwas/eine Haltung nach)", oder: "er plante (etwas) bei Nacht", das heißt heimlich, wie es durch "Dunkelheit der Nacht" symbolisiert wird. (Asad)

205. Bezüglich der Heuchler wies Allah den Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, an, sie nach ihrem äußeren Handeln zu nehmen und nicht nach ihren wirklichen Absichten, über ihr Tun hinwegzusehen und mit ihnen Nachsicht zu üben. Dazu gehört, sie nicht zu beachten und auf Allahs Schutz zu vertrauen. (Qutb)

Wenn wir Vertrauen zu betrügerischen Menschen haben, werden sie uns wahrscheinlich mehr schaden als nützen. Aber Allah ist gütig und allmächtig, wir sollen alle unsere Angelegenheiten Seiner Fürsorge anvertrauen. Er kann am besten dafür sorgen. Deshalb sollten wir auch nicht den Lippenbekenntnissen der Heuchler vertrauen, sondern Allah. Auch etwaige geheime Verschwörungen unserer Feinde gegen um sollten unser Allah Verstrauen nicht erschüttern. Wir müssen alle menschliche Vorsorge gegen sie treffen, und wenn wir das getan haben, können wir auf Allah vertrauen, der den wirklichen Verlauf der Dinge besser kennt als es der menschliche Verstand sich je vorstellen kann. (Juusuf 'Allii)

 

82. Wollen sie denn nicht über den Qur’an nachdenken?206 Wenn er von jemand anderem wäre als (von) Allah, dann würden sie darin gewiss viele Wider­sprüche finden.207

206. Das heißt, ihn gründlich studieren und über seine Bedeutung nachdenken. (Siddiqi)

Hier wird dem Vorigen die Zielsetzung des Qur’an entgegengestellt, die der wahren Menschenwürde und menschlichen Vernunft entspricht, sowie der Hochachtung dieses menschlichen Daseins und des Bewusstseins, das uns der gütige Schöpfer geschenkt hat. Er legt ihnen die Gebote des Qur’an zur Kenntnisnahme und zum Nachdenken vor und weist ihnen den Weg der Überlegung und wahren Einsicht. (Qutb)

207. Die Einheit des Qur’ans ist zugegebener maßen größer als die irgendeiner anderen Heiligen Schrift. Und dennoch können wir diese Einheit nur durch die Einheit in Allahs Plan und Ziel erklären. Vom bloßen menschlichen Standpunkt her betrachtet wären viele Unstimmigkeiten zu erwarten, denn

1. der Gesandte, Allahs Segen und Frieden auf ihm, der ihn übermittelte, war kein Schriftgelehrter oder Philosoph;

2. er wurde zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen übermittelt; und

3. ist er an Menschen aller Art gerichtet. Wenn er jedoch richtig verstanden wird, passen seine einzelnen Teile genauestens zusammen, selbst wenn er ohne Rücksicht auf die chronologische Reihenfolge angeordnet ist. Es gab nur den Offenbarenden und den Offenbarungsempfänger. (Juusuf 'Allii)

Vergleiche auch Suura 2.5:32 und 39:23. (Asad)

Der Aufbau des gesamten Universums weist deutlich darauf hin, dass es Allahs Schöpfung ist, denn alle seine zahllosen Bestandteile sind so beschaffen, dass sie einander ergänzen und vervollständigen -nichts ist überflüssig, und nichts fehlt ­so dass man daraus schließen muss: es kann sich nur um die Schöpfung eines Meisters handeln, ohne Dessen Planung keine solch vollkommene Harmonie vorhanden sein könnte. Dasselbe ist mit dem Qur’an der Fall. Tausende von Themen sind hierin behandelt worden, und tausende von Beobachtungen werden unter verschiedenen Gesichtspunkten erörtert. Von metaphysischen Problemen und geistigen Erfahrungen bis hin zu den Problemen weltlicher Lebensäußerungen ist alles angesprochen und eine Lösung gegeben. Aber mitten in dieser erstaunlichen Vielfalt kann leicht eine innere Harmonie festgestellt werden, abgesehen von der übernatürlichen Kraft und Ausdrucksstärke, die unmöglich das Werk eines menschlichen Autors sein kann. (Siddiqi)

 

83. Und wenn ihnen eine Angelegenheit (zu Ohren) kommt, sei es nun, dass sie die Sicherheit oder Gefahr betrifft, dann machen sie208 sie allgemein bekannt. Und wenn sie, sie vor den Gesandten oder die Verantwortlichen unter ihnen, gebracht hätten, dann hätten die unter ihnen Bescheid gewusst209, die (der Sache) nachzugehen vermögen.210 Und wäre nicht Allahs Huld mit euch und Seine Bannherzigkeit, dann wärt ihr Scheytaan gefolgt außer einigen wenigen (von euch).211

208. Das heißt, die in den vorangehenden Ajas erwähnten halbherzigen Anhänger des Islam. Dies bezieht sich auf Krieg oder Frieden, wörtlich: "Sicherheit oder Furcht bzw. Gefahr" und ist erstens mit den in Aja 59 dieser Suura erwähnten Grundsätzen der Staatsführung und zweitens mit der in Aja 71 begonnenen Erörterung des Kampfes für Allahs Sache verbunden. (Asad)

Die Heuchler nahmen den Krieg nicht ernst und verbreiteten falsche Gerüchte, die sie verschiedentlich hörten. Damit wollten sie entweder die aufrichtigen Muslime entmutigen oder sie zur Gleichgültigkeit gegenüber der drohenden Gefahr veranlassen. (Siddiqi)

209. Der Qur’an gibt klare Anweisungen, wie solche Gerüchte zu behandeln sind. Sobald jemand etwas erfährt, was die Sicher­heit von Staat und Gesellschaft betrifft, dann darf dies nicht veröffentlicht, sondern muss unverzüglich den Verantwortlichen zur Kenntnis gebracht werden, so dass diese Gelegenheit haben, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Dass der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, hier gesondert von den Verantwortlichen genannt wird, obwohl er zur Zeit dieser Offenbarung Staatsoberhaupt war, soll betonen, dass seine Entscheidungen und Anordnungen durch die Offenbarung Allahs ein anderes Gewicht haben als die eines gewöhnlichen Staatsoberhauptes. (Siddiqi)

210. Wörtlich: "Diejenigen von ihnen, die (die Wahrheit) herausfinden," das heißt die besonderen Staatsorgane, die mit der Sammlung und Auswertung politischer und militärischer Informationen betraut sind. (Asad)

211. In Zeiten des Krieges oder der allgemeinen Unsicherheit verhindern alle effektiven Staatsgebilde zu recht die gedankenlose Verbreitung von Gerüchten. Wenn solche Gerüchte nämlich falsch sind, können sie unnütze Beunruhigung auslösen, und wenn sie der Wahrheit entsprechen, können sie selbst dem Mutigsten Befürchtungen einflößen, weil die entsprechende Gegenmaßnahme gegen die Gefahr nicht genannt ist. Gedankenlose Nachrichten, ob wahr oder falsch, können auch den Gegner ermutigen. Richtig ist, alle Nachrichten denjenigen zuzuleiten, die ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können. Diese können dann den Dingen auf den Grund gehen und entsprechende Maßnahmen treffen, um den Gegner außer Gefecht zu setzen. (Juusuf 'Allii)

Das Bild, das der Text hier beschreibt, ist das Bild einer Schar im islamischen Lager, die sich noch nicht an Ordnung gewöhnt hat und die störende Wirkung eines Gerüchtes im Lager und die Folgen, die daraus entstehen könnten, auch nicht erlasst hat. Egal wie dieses Gerücht ist, ob es Sicherheit oder Angst einflößt  beide könnten verheerende Wirkungen haben. Ein Sicherheit einflößendes Gerücht in einem Heereslager, das wachsam den Gegner erwartet, führt zu einer Art von Aufweichung der Position. Und das Furcht einflößende Gerücht könnte in einem von seiner Stärke überzeugten Lager vielleicht zur Verwirrung und zu unnötigem Handeln führen. Auf jeden Fall ist dies die Beschreibung eines Heereslagers, dessen Ordnung noch nicht vollkommen und dessen Loyalität den Führern gegenüber noch nicht vollständig ist. (Qutb)

 

84. So kämpft also auf dem Pfad Allahs. Du hast dich nur an deine eigene Person zu halten. 212 Und sporne die Mu’mins an213 in der Hoffnung, dass Allah die Macht derjenigen, die kaafir sind, zurückhält.214 Und Allah ist gewaltiger an Macht und gewaltiger in der Bestrafung.215

212. Obwohl in erster Linie an den Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, gerichtet, betrifft das "Du" in diesem Satz jeden einzelnen Mu’min. Die obige Ermahnung ist so zu verstehen, dass ein Kriegszustand bereits besteht, nicht als Anstiftung zum Krieg! (Asad)

Aus diesen und den vorherigen Ajas werden viele Wesenszüge der damaligen islamischen Gemeinschaft deutlich. Als erstes die Erschütterung in den islamischen Reihen und die tiefen Spuren, die manche durch ihr Zögern, in den Kampf zu gehen und ihre Versuche, andere daran zu hindern und zurückzuhalten, darin hinterlassen haben. Um diesem zu begegnen und die Muslime anzuspornen und zu mobilisieren, wird der Prophet, Allahs Segen und Frieden auf ihm, beauftragt, für Allahs Sache in den Kampf zu ziehen -gegebenenfalls allein -und nur auf die eigene Person gestellt. Zusätzlich soll er aber die Mu’mins zum Kampf anspornen. Ob dies Resonanz bei ihnen findet oder nicht, soll ihn von seinem Vorhaben nicht abbringen. (Qutb)

213. Der Begriff "harrad" حَرِّضِ bedeutet "Verdorbenheit von Körper und Geist" oder "Verdorbenheit des Verhaltens" sowie "Ständige innere Unruhe", Die Verbform "harradahun" bedeutet "er befreite sie von allem harrad" Hier steht es im Imperativ: "Befreie die Mu’min von aller inneren Unruhe" oder "von aller Todesfurcht" und kann übersetzt werden: "Begeistere die Mu’mins dafür, alle Todesfurcht zu überwinden". (Asad)

214. Hier wird der volle Umfang der Ängste und Befürchtungen im Krieg gegen die Götzendiener jener Tage deutlich. Allah ermutigt die Muslime mit der Möglichkeit, dass Er die Stärke der Kaafir schwächt und die Muslime zu Seinem Werkzeug macht, sie zu überwinden. (Qutb)

215. Es wird auch deutlich, wie sehr die menschliche Seele die Verbundenheit mit Allah und die Stärke des Vertrauens auf Ihn, auf Seine Hilfe und auf Seine Macht braucht. Alle anderen Mittel, womit sie sich stärken will, helfen nichts, wenn die Gefahr den höchsten Punkt erreicht. Alle in diesem Aja genannten Mittel sind Wahrheiten, die Allah anwendet, um die Seelen zu stärken, denn Er ist Derjenige, Der sie geschaffen hat und kennt. (Qutb)

Muchammeds, Allahs Segen und Frieden auf ihm, Mut war ebenso bemerkenswert wie seine Weisheit, seine Milde und sein Vertrauen auf Allah. Oft stand er furchtbaren Situationen allein gegenüber und nahm alle Verantwortung auf sich. Aber sein Beispiel und sichtbares Vertrauen auf Allah erweckte die Muslime und dämpfte -vom rein menschlichen Standpunkt aus gesehen -die Wut der Feinde. Wenn wir berücksichtigen, dass Allah ihn gesandt hatte, um Seinen Plan zu verwirklichen, sehen wir ein, dass niemand diesem Plan widerstehen kann. Verfügt der Gegner über Kraft, Macht und Mittel, so sind doch Allahs Kraft, Macht und Mittel unendlich viel mehr. Plant der Feind, die Rechtschaffenen für ihre Rechtschaffenheit zu bestrafen, so ist doch Allahs Strafe für solche Bosheit unendlich größer und wirkungsvoller. (Juusuf 'Allii)

 

85. Wer Fürsprache einlegt für eine gute Sache, dem steht ein Anteil daran zu.216 Und wer Fürsprache einlegt für eine üble Sache, dem obliegt die Verantwortung dafür. Und Allah hat Macht über alle Dinge.217

216. Wörtlich: "soll einen Anteil ("Nasiib" نَصِيبٌ ) davon haben". Da der Begriff "Nasiib" hier positive Bedeutung hat, kann der Satz übersetzt werden mit: "ein Teil an seinen Segnungen,"

217. Derjenige der für den Kampf auf Allahs Pfad ermuntert und anspornt, dem wird eine Belohnung aus diesem Aufruf und seinen Auswirkungen zuteil. Wer aber verzögert und hemmt, der nimmt teil an den Folgen, die daraus entstehen. Das Wort "kifl" (Folge) soll zeigen, dass er die Schuld aus seinem Tun zu tragen hat. (Qutb)

In dieser vergänglichen Welt kann es geschehen, dass Allahs Fürsorge und Gerechtigkeit uns nicht immer deutlich wird. Aber wir werden zu dem Imaan aufgefordert, dass wir, wenn wir eine gute Sache unterstützen, Anteil an ihrem Segen und ihrem eventuellen Erfolg haben. Entsprechend können wir uns nicht für eine schlechte Sache einsetzen, ohne Anteil an ihren bösen Folgen zu haben. Wenn der Anschein dieser Überzeugung widerspricht, darf uns der Schein nicht trügen. Denn Allah hat Macht über alle Dinge.(Juusuf 'Allii)

 

86. Und wenn ihr mit einem Grußwort begrüßt werdet, dann grüßt mit einem noch schöneren zurück oder erwidert es (zumindest).218 Wahrlich, Allah nimmt für alles Rechenschaft entgegen.

218. Das notwendige Gegenstück zu der Aufforderung, für Gutes zu kämpfen, ist das Gebot, zu jeder Zeit für Sanftheit und Herzlichkeit in unserem Verhalten Sorge zu tragen. Denn Kampf ist eine notwendige Ausnahmesituation, während Herzlichkeit im täglichen Umgang ein normales Bedürfnis ist. Darüber hinaus sollen wir uns ungefragt freundlich und höflich verhalten und Freundlichkeit und Höflichkeit mindestens im gleichen Maße erwidern. Denn wir sind alle Geschöpfe des Einen Allahs und werden dereinst vor ihm versammelt. (Juusuf 'Allii)

Im obigen Zusammenhang bezieht sich diese Aufforderung offensichtlich auf Friedensangebote von Menschen, mit denen die Muslime sich im Kriegszustand befunden, sowie auf Einzelpersonen, die, obwohl sie zum Gegner gehören, allem Anschein nach friedliche Absichten haben. In Übereinstimmung mit dem Gebot in Suura 8:61: "Wenn sie zum Frieden neigen, dann neige auch du zum Frieden", und in Suura 2:193: "Wenn sie (vom Kampf) absehen, dann sollen alle Feindseligkeiten beendet sein", sind die Mu’mins verpflichtet, mit einem Gegner Frieden zu schließen, der zu verstehen gibt, dass er zu einer Verständigung kommen will. Ebenso müssen sie Rücksicht nehmen auf Einzelpersonen aus dem gegnerischen Lager, die nicht aktiv an den Auseinandersetzungen teilnehmen (Siehe auch Vers 94), (Asad)

Der Islam machte "Friede sei mit euch" oder "Der Friede und die Barmherzigkeit Allahs sei mit euch" oder aber "Friede, Allahs Barmherzigkeit und Allahs Segen sei mit euch" zu seinem Gruß. Dann mit einem besseren Gruß zu erwidern, heißt ihn zu erweitern -mit Ausnahme des dritten Grußes, bei dem keine Erweiterung möglich ist -, So ist der zweite als Erwiderung für den ersten Gruß und der dritte für den zweiten anzuwenden. Der dritte ist, weil keine Erweiterung möglich ist, mit dem gleichen zu erwidern. Dies wurde vom Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, überliefert.

-Der Gruß ist hier, mitten zwischen den Ajas, die, die Aufforderung zum Kampf enthalten, wie ein Sanfter Wind und ein Versuch der Entspannung, der vielleicht auf die Grundlage des Islams hinweisen will -auf den Frieden. Denn der Islam ist die Religion des Friedens. Ein Moslem kämpft nur, um den Frieden auf Erden zu festigen, mit allem was darunter zu verstehen ist. (Qutb)

Die Muslime werden hier -wie aus dem Zusammenhang hervorgeht -ermahnt, sich Nichtmuslimen gegenüber, mit denen konfliktbedingte gespannte Beziehungen bestehen, freundlich und höflich zu verhalten. (Siddiqi)

 

87. Allah, es gibt keinen Gott außer Ihm. Er wird euch gewiss zusammenführen sm Tag der Auferstehung, über den es keinen Zweifel gibt.219 Und wer könnte wahrhaftiger sein als Allah in (Seiner) Aussage?

219. Das Fehlverhalten von Kaafir, Atheisten, Götzendienern und ähnlichen kann Allah nicht schaden, denn sie können nicht die Tatsache ändern, dass Er der Eine und Allmächtige ist, Der eines Tages alle Menschen versammelt und ent­sprechende ihren Taten mit ihnen abrechnet, ohne dass jemand Seiner Vergeltung entgehen kann. Darum braucht Allah niemanden, der dann gegen Seine Feinde verteidigt, und schon gar nicht indem er sich ihnen gegenüber rücksichtslos und unhöflich verhält. (Mauduudi)

 

Abschnitt 12

88. Und was ist mit euch, dass ihr wegen der Heuchler in zwei Parteien gespalten seid?220 Und Allah hat sie straucheln lassen um dessentwillen, was sie sich zuschulden kommen ließen.221 Wollt ihr etwa den recht­ leiten, den Allah irregehen ließ?222 Und der, den Allah irregehen lässt, für den wirst du niemals einen Weg finden.223

220. Als der Verrat der Heuchler in Uhud der muslimischen Sache beinahe Verderben brachte, entstand unter den medinensischen Muslimen eine starke Ablehnung gegen sie. Ein Teil von ihnen wollte sie hinrichten, ein anderer die Sache auf sich beruhen lassen. Diese Ajas legen ein Verhalten ihnen gegenüber fest, das beide Extreme vermeidet. Es stand fest, dass die Heuchler eine Gefahr für die muslimische Gemeinschaft darstellten, wenn sie ins Vertrauen gezogen wurden, und auf jeden Fall eine Quelle der Demoralisierung waren. Während jedoch jede Vorsichtmaßnahme getroffen wurde, griff man nicht zu extremen Maßnahmen gegen sie. Ihnen wurde im Gegenteil die Gelegenheit eingeräumt, sich zu bessern. Sobald sie für die Sache ein Opfer brachten ("von dem Verbotenen flohen", vergleiche nächster Aja), diente ihr Verhalten der Tilgung ihrer früheren Unentschlossenheit, und ihre Aufrichtigkeit ermöglichte ihnen die Umkehr. Wenn sie dann aber wiederum die muslimische Gemeinschaft im Stich ließen, wurden sie als Feinde betrachtet und auf die gleiche Weise als Deserteure bestraft, wie dies bei allen im Krieg befindlichen Nationen der Fall ist. Selbst hierbei wurden aber in den in Aja 90 genannten Fällen Ausnahmen gemacht. (Juusuf 'Allii)

221. Wörtlich: ,,(wo ihr doch seht,) dass Allah sie niedergeworfen hat mit dem, was sie erworben haben." Es gibt verschiedene Vermutungen -alle historischer Art -bezüglich der Identität dieser Heuchler. Einige Kommentatoren nehmen an, dass es sich um die Heuchler von Medina in den ersten Jahren nach der Hidschra handelt. Andere (beispielsweise Tabari) ziehen die Ansicht von ibn 'Abbas vor, der zufolge es sich auf gewisse Leute in Mekka bezieht, die vor der Hidschra äußerlich den Islam angenommen hatten, heimlich aber weiterhin die heidnischen Quraisch unterstützten. Mir scheint es allerdings, dass es nicht notwendig ist, nach "historischen" Interpretationen zu suchen, denn der obige Aja kann leicht auch allgemeingültig verstanden werden. Der vorige Aja spricht von Allah und unterstreicht Seine Einheit und die offenkundige Wahrheit, die in Seiner offenbarten Botschaft enthalten ist, sowie die Gewissheit des Gerichts am Tag er Auferstehung. "Wie könnt ihr dann", so wird das Argument fortgesetzt, -geteilter Ansicht bezüglich der Leute sein, die so weit gehen, der Wahrheit der Botschaft Allahs Lippendienste zu erweisen, und dennoch nicht bereit sind, eine aufrichtige Wahl zwischen Gut und Böse zu treffen?« (Asad)

222. Dies wurde vielleicht zu der Partei gesagt, die den Heuchlern verzeihen wollte, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich leiten zu lassen und ihre Rechthaberei beiseite zulassen. Allah missbilligte dieses Tun, vor allem in Bezug auf diejenigen Leute, die es verdient haben, in die Folgen ihrer Taten hinein zu stürzen. Und Allah lässt den irren, der sich mit Absicht und mit eigener Kraft zum Irrtum hin bewegt. (Qutb)

223. Niemand kann einen Sinn für Religion und Rechtschaffenheit in jemandem erwecken, der aus eigener Entscheidung den falschen Weg einschlägt. Keine menschlichen Bemühungen können einen Menschen sehend machen, der aus eigener Wahl blind ist. (Darjabaadi)

Im Universum ist Allahs Gesetz von Ursache und Wirkung wirksam. Wer sich dafür entscheidet, die Wahrheit zu verleugnen und den Pfad des Bösen zu beschreiten, der kann dies tun. Die Natur warnt ihn Schritt für Schritt, aber hält ihn nicht mit Gewalt davon zurück. (Siddiqi)

 

89. Sie möchten, dass ihr ungläubig werdet, so wie sie ungläubig sind, damit ihr alle gleich seid. Darum nehmt keine von ihnen zu engen Freunden, bis sie auf dem Pfad Allahs auswandern.224 Doch wenn sie sich abwenden, dann ergreift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet.225 Und nehmt euch keine von ihnen zu engen Freunden und keine zu Helfern,226

224. "Juhaadschiru" يُهَاجِرُو: sie wandern aus (von diesem Wort ist "Hidschra" abgeleitet). Bucharii interpretiert dies ganz richtig als Auswanderung vom Bösen. Der Begriff schließt Hidschra im technischen Sinne ein: einen Ort oder ein Gebiet verlassen, wo die Ausübung der Religion nicht erlaubt ist. Aber er ist allgemeiner gefasst. Wenn in Kriegszeiten ein Mensch bereit ist, sich der Disziplin zu unterwerfen und sich nicht Befehlen zu widersetzen, dann hat er seine Treue unter Beweis gestellt und kann als Mitglied der Krieg führenden Partei betrachtet werden. Wenn er aber andererseits unter falschen Vorwänden in den engeren Rat vordringt, um euch zu betrügen, dann wird er mit Recht als Verräter oder Deserteur betrachtet und dafür bestraft; wenn er jedoch entkommt, dann kann er als Feind angesehen werden und hat keinen Anspruch auf Nachsicht. Er ist schlimmer als ein Feind, denn er hat vorgegeben, zu euch zu gehören, um spionieren zu können, während er die ganze Zeit über in Wirklich­keit eurem Gegner beigestanden hat. (Juusuf ’Allii)

Zur Zeit unseres Propheten Muchammed, Allahs Frieden und Segen auf ihm, bestand ein Aufrichtigkeitstest der Muslime darin, Dar-ul-Harb zu verlassen und zum Dar-ul-Islam (vom Kriegsgebiet in das Gebiet des Islam) auszuwandern. Ein so genannter Muslim, der es vorzog, unter den Feinden des Islam zu leben, obwohl ihm jede Gelegenheit offen stand, nach Medina auszuwandern, wurde als Heuchler angesehen. (Siddiqi)

225. Dies bezieht sich auf die Heuchler, die sich zum Islam bekannten, dann aber nicht nur ihr Bekenntnis widerriefen, sondern sich denjenigen anschlossen, die offen gegen die Muslime Krieg führten. (Siddiqi)

226. Wir spüren aus diesem Verbot, dass Reste von verwandtschaftlichen und Stammesverbindungen in den Seelen der Muslime von Medina waren, was möglicherweise auch wirtschaftliche Gründe hatte. Die Weisung Allahs sollte diese Überreste abbauen und andere Grundlagen und Bindungen als Basis ihrer Vorstellung festsetzen. (Qutb)

Der Islam übt Toleranz gegenüber den Angehörigen anderer Religionen. Er zwingt sie niemals dazu, den Islam anzunehmen, und sie können, auch wenn sie unter seiner Herrschaft leben, sich öffentlich zu ihrer Religion bekennen. Er übt solche Nachsicht aber nicht mit denjenigen, die den Islam als Lippenbekenntnis aussprechen, während ihre Taten sie Lügen strafen. Und er lässt auch nicht zu, dass ein Teil der Heuchler als Muslime betrachtet wird, weil sie das Bekenntnis zum Islam ausgesprochen haben -sie blieben auf dem Gebiet der Gegner als Helfer für die Feinde des Islams. (Qutb)

 

90. Außer denjenigen, die sich einem Volk anschließen, (wo) zwischen euch und ihnen ein Bündnis besteht,227 oder jenen, die zu euch kommen, weil ihre Herzen228 sie davon abgehalten haben, euch zu bekämpfen oder ihr Volk zu bekämpfen.229 Und wenn Allah gewollt hätte, dann hätte Er sie dazu ermäch­tigt, euch zu bekämpfen.230 Wenn sie sich von euch fernhalten und euch nicht bekämpfen und euch Frieden anbieten, dann hat Allah euch nicht erlaubt, gegen sie vorzugehen.231

227. Die Muslime dürfen nicht solche Heuchler töten, die im Territorium jener Nichtmuslime Zuflucht suchen, die mit dem islamischen Staat einen Friedensvertrag abgeschlossen haben; gleichzeitig sollten die Muslime sie aber auch nicht zu Verbündeten nehmen. (Mauduudi)

Diese Ausnahme bezieht sich auf "ergreift sie und tötet sie", die Todesstrafe für wiederholten Verrat. Aber selbst in solchen Fällen gibt es zweierlei Ausnahmen. Die eine ist, wenn der Deserteur bei einem Stamm Zuflucht findet, mit dem ein Friedensvertrag besteht. Wahrscheinlich konnte man von einem solchen Stamm (obwohl er nicht muslimisch war) erwarten, dass er den Betreffenden daran hinderte, Kampfhandlungen gegen die Muslime aufzunehmen -im modernen Sprachgebrauch, ihn zu entwaffnen und zu neutralisieren. Der zweite Ausnahmefall besteht dann, wenn der Betreffende von sich aus nicht den Wunsch hat, jemals mit Waffengewalt gegen den Islam vorzugehen, während er sich gleichzeitig nicht den Muslimen anschließen will, die sich mit islamfeindlichen Stämmen (vielleicht seinem eigenen) auseinandersetzen. Dies muss er aber eindeutig zu verstehen geben und eine Garantie für seine Aufrichtigkeit liefern. In moderner Ausdrucksweise befindet er sich dann "auf Bewährung". Diese Bestimmung ist viel milder als in der modernen Militärgesetzgebung, die ein solches Privileg nur Kriegsgefangenen zugesteht, keinesfalls aber Deserteuren und Verrätern. (Juusuf 'Allii)

228. Die zu euch kommen, nicht im physischen Sinne, sonder als innere Haltung gemeint: das Herz (wörtlich: die Brust) wird erwähnt als Hinweis auf ihre Aufrichtigkeit. Wenn sie aufrichtig versprechen, nicht gegen euch zu kämpfen, dann verfolgt sie nicht. Denkt daran, dass eure Schwierigkeiten noch größer gewesen wären, wenn sie gegen euch gekämpft hätten. Ihre Neutralität selbst kann für euch ein großer Vorteil sein. (Juusuf 'Allii)

229. Diejenigen Heuchler sind gemeint, die weder gegen die Muslime noch gegen ihr eigenes Volk kämpfen wollen. (Siddiqi)

230. Wörtlich: "Hätte Allah gewollt, dann hätte Er ihnen Macht über euch gegeben, woraufhin" -was bedeuten kann, dass nur Mangel an zur Verfügung stehenden Kräften, nicht wirklicher guter Wille sie daran hindert, gegen die Mu’mins zu kämpfen. (Asad)

231. Wörtlich: Dann macht Allah euch keinen Weg gegen sie, bezogen auf die in Aja 86 gegebene Anordnung. (Asad)

Hier werden die Übereifrigen unter den Muslimen ermahnt, die mit dieser Haltung gegenüber den Heuchlern nicht einverstanden waren. Allah zeigt ihnen, dass diese Lage eine Gnade und Leitung von Ihm ist. Denn wenn keine Seite vom Kampf ablassen würde, hieße das für die Muslime, die doppelte Last zu tragen. Sie sollten die Lehre daraus ziehen, das Gute, das ihnen angeboten wird, nicht abzuweisen, solange dies nicht zu Nachlässigkeit in irgendeiner Sache in der Religion führt. (Qutb)

 

91. Andere werdet ihr finden, die möchten vor euch in Sicherheit und vor ihrem (eigenen) Volk in Sicherheit sein.232 Jedes mal, wenn sie erneut in Ver­suchung geführt werden, erliegen sie ihr.233 Wenn sie sich nicht von euch fernhalten und euch Frieden anbieten und von euch ablassen, dann ergreift sie und tötet sie, wo immer ihr auf sie stößt. Was jene angeht, so haben Wir euch offenkundige Ermächtigung über sie gegeben.234

232. Im Gegensatz zu diesen beiden Arten von Deserteuren, denen Milde gezeigt werden kann, gibt es solche, die verräterisch und gefährlich sind und keine Milde verdienen. Sie versuchen, euer Vertrauen zu gewinnen, während sie gleichzeitig mit dem Gegner konspirieren. Wo immer sich eine Gelegenheit bietet, erliegen sie der Versuchung und spielen ein doppeltes Spiel. Sie kann man nur als offene Feinde behandeln. Distanziert euch von ihnen. Wenn sie euch Nichtangriffsgarantien geben und nicht wirklich gegen euch kämpfen, schön und gut. Wenn nicht, dann sind sie Deserteure, die aktiv auf der Seite des Gegners kämpfen. Sie haben ihren Beweis offen geliefert, und sie können als Deserteure und Feinde gefangen genommen und getötet werden. (Juusuf 'Allii)

233. Wörtlich: "Wenn immer sie zur Versuchung (Fitnah) zurückgebracht werden, fallen sie darein zurück," oder, "fallen sie kopfüber hinein". (Asad)

234. Wörtlich:" Wir haben euch deutliche Vollmacht gegeben (Sultan)" -eine feierliche Wiederholung des Gebots, das Krieg nur zur Selbstverteidigung erlaubt (vergleiche 2: 19Off sowie zugehörige Fußnoten). (Asad)

Abschnitt 13

92. Und es steht einem Mu’min keines­falls zu, einen anderen Mu’min zu töten, es sei den aus Versehen. Und wer einen Mu’min aus Versehen tötet, der muss einen mu’min Sklaven befreien und Entschädigung zahlen235 an seine Hinterbliebenen,236 es sei denn, sie erlassen es (ihn) aus Mild­tätigkeit.237 Und wenn der Verstor­bene238 einem feindlichen Volk239 angehörte und er war ein Mu’min, dann (obliegt euch) die Befreiung eines mu’min Sklaven.240 Und wenn er einem Volk angehörte, wo zwischen euch und ihnen ein Bündnis bestand,241 dann (sollt ihr ebenfalls) Entschädigung an seine Hinterbliebenen zahlen und einen mu’min Sklaven befreien. Und wer keinen zu finden vermag, soll zwei aufeinander folgende Monate lang fasten242 aus Reue vor Allah. Und Allah ist wissend, weise.

235. In einer islamischen Gemeinschaft ist das Menschenleben absolut unantastbar. Aber gelegentlich geschieht ein Versehen, wie Beispiel weise im Handgemenge von Uhud, wo einige Muslime: getötet wurden (die fälschlich für Gegner gehalten worden waren). Es lag keine böse Absicht vor, deswegen war es kein Mord. Trotzdem hatte selbstverständlich die Familie des Verstorbenen Anspruch auf eine Entschädigung, wenn sie nicht von sich aus darauf verzichtete; darüber hinaus wurde festgelegt, dass der Unglückliche, dem dieser Fehler unterlaufen war, einen mu’min Sklaven freilassen musste. So wurde aus einem entsetzlichen Fehler eine Gelegenheit gemacht, die Freiheit eines gläubigen Sklaven zu gewinnen, denn der Islam missbilligt die Sklaverei. Wenn derjenige, der unbeabsichtigt einen Muslim getötet hatte, selbst nicht die Mittel aufbringen konnte, einen Sklaven zu befreien oder die Entschädigung zu zahlen, müsste er durch eine Handlung strenger Selbstver­leugnung (Fasten während zweier zusammenhängender Monate) zu verstehen geben, dass er sich der Schwere seiner Tat bewusst war und sie aufrichtig bereute. Dies bezieht sich meiner Ansicht nach auf alle drei oben erwähnten Fälle. (Juusuf 'Allii)

Dieser Aja bezieht sich auf aufrichtige Muslime: die entweder im "Gebiet des Islam" lebten oder im "Gebiet des Kufrs oder Krieges" und nicht nachweislich an Feindseligkeiten gegen die Muslime teilgenommen hatten. Es gab nämlich trotz allem Menschen, die aufrichtig den Islam angenommen hatten, durch die Umstände aber gezwungen waren, unter den Feinden des Islam zu leben, und es hat Fälle gegeben, dass einige von ihnen aus Versehen bei Kampfhandlungen von ihren eigenen Brüdern im Islam getötet wurden. (Mauduudi)

In Verbindung mit Aja 93 schließen einige Gelehrte daraus, dass ein Muslim, der absichtlich einen Mu’min tötet, als Kaafir angesehen werden muss. Dies bezieht sich selbstverständlich nicht auf die Ausführung eines Todesurteils entsprechend dem Gesetz. (Asad)

236. Wörtlich: "seine Leute", das heißt die Erben des Opfers. Die "Befreiung eines Mu’min aus der Gefangenschaft", bezieht sich in erster Linie auf Kriegsgefangene (vergleiche Suura 8:68 und 58:3). (Asad)

237. Wenn ein Muslim aus Versehen einen Muslim tötet, dessen Angehörige im Gebiet des Islam leben, ist er verpflichtet, einen mu’min Sklaven zu befreien und den Angehörigen eine Entschädigung zu zahlen. Die Freilassung eines mu’min Sklaven ist eine Kompensation für die muslimische Gemeinschaft für den Verlust einer mu’min Person, indem man einer solchen sozusagen das Leben schenkt. Die Entschädigungszahlung dient dazu, die Gefühle zu beruhigen, schmerzvolle Gedanken zu beschwichtigen und etwas von dem auszugleichen, was die Angehörigen materiell mit dem Getöteten verloren haben -trotzdem empfiehlt der Islam den Angehörigen, den Totschlag zu vergeben. (Qutb)

Zur Zeit des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, wurden hundert Kamele oder deren Gegenwert als Blutgeld für einen Getöteten an dessen Angehörige bezahlt. (Mauduudi)

238. Wörtlich: er (Anm. d. Übers.)

239. Wörtlich: "die euch feindlich sind" -das bedeutet, dass mit ihnen ein tatsächlicher Kriegszustand besteht. (Asad)

Wenn ein Muslim aus Versehen einen Muslim tötet, dessen Angehörige im Kriegsgebiet leben und aktiv gegen die Muslime Krieg führen, ist er unter diesen Umständen verpflichtet, einen mu’min Sklaven zu befreien als Ersatz für die mu’min Person, die er getötet hat und die der muslimischen Gemeinschaft somit verloren ging. Er braucht aber kein Blutgeld an die Angehörigen zu zahlen, weil diesen damit im Kampf gegen die Muslime geholfen würde. (Asad)

240. Eines Sklaven oder einer Sklavin. (Darjabaadi)

241. Wenn ein Muslim versehentlich einen Muslim tötet, dessen Angehörige einen Friedensvertrag oder ein Schutzbündnis mit der muslimischen Gemeinschaft abgeschlossen haben. Es wird in diesem Aja aber nicht festgelegt, dass der Getötete unbedingt Muslim sein muss, was die Ausleger und Gelehrten dazu veranlasst hat, diese Regel für allgemein gültig zu erklären. So muss auf jeden Fall ein mu’min Sklave befreit und Entschädigung an seine Verwandten, sofern sie Verbündete sind, gezahlt werden. (Qutb)

242. Fasten auf die Weise, wie es im Ramadan vorgeschrieben ist. (vergleiche Suura 2: 183-187). Dies bezieht sich auf Personen, die weder für die Befreiung eines Sklaven noch für das Blutgeld aufkommen können, und kann insofern heute zur Anwendung kommen. (Asad)

 

93. Und wer einen Mu’min vorsätzlich tötet, dessen Vergeltung ist die Hölle, wo er (ewig) bleiben soll.243 Der Zorn Allahs und Sein F1uch ist über ihm und Er hat ihm eine gewaltige Strafe bereitet.244

243. Da Allah keinen mu’min Menschen ewig bestraft, kann Er ihm trotzdem Barmherzigkeit erweisen und vergeben, nachdem ein Teil der Strafe abgegolten ist. (Darjabaadi)

244. Hier ist von der Strafe im zukünftigen Leben die Rede, von den geistigen Folgen. Die rechtlichen Konsequenzen, die von der menschlichen Gesellschaft durchgesetzt werden, sind in Suura 2:178 (Qisas) erwähnt. Das bedeutet, ein Leben kann als Ersatz für ein anderes genommen werden, dies sollte aber auf der Basis der Gleichheit geschehen: ein einzelner Mörder darf nicht einen ganzen Stamm der Blutrache aussetzen wie zur Zeit der Unwissenheit. Wenn aber die Erben des Getöteten eine Entschuldigung akzeptieren, muss auf ein Todesurteil verzichtet werden. Auf diese Weise werden Menschenleben gerettet, und es ist eine Verhaltensweise für Verständige. (Juusuf 'Allii)

 

94. O die ihr den Imaan verinnerlicht habt! Wenn ihr auszieht auf dem Pfad Allahs,245 dann sammelt erst sorgfältig Beweise246 und sagt nicht zu jemandem, der euch einen Friedensgru8 entbietet:247 "Du bist kein Mu’min!" Ihr trachtet nach den Glücksgütern dieser Welt, doch bei Allah ist Gutes in Fülle. Ebenso wart auch ihr, bevor248 Allah euch Beweise Seiner Gnade zuteil werden ließ. Darum sammelt erst sorgfältig Beweise.249 Wahrlich, Allah ist wohl vertraut mit dem, was ihr tut.

245. "Daraba" ضَرَب: reisen, ausziehen, entweder zum Dschihaad oder für Handel und Gewerbe -als Dienst für Allahs Sache zählt, was aufrichtigen Herzens unternommen wird. Der unmittelbare Anlas war mit Dschihaad verbunden, aber die Worte sind allgemein gehalten und können auf alle Gegebenheiten angewendet werden, wo der Mensch der Gefahr geistigen Hochmuts ausgesetzt ist: er hält sich für besser als andere und vergisst, dass es nur auf Allahs Bannherzigkeit zurückzuführen ist, wenn er nicht selbst zu den großen Sündern zählt. Im Kriegsfall (oder auch im Frieden) neigen wir dazu, weltliche Vorteile zu erlangen, indem wir uns mit unserer Überlegenheit in der Religion brüsten. Im Krieg wollen wir vielleicht Ruhm und Ehre gewinnen, indem wir einen vermeintlichen Gegner besiegen. Im Frieden achten wir vielleicht andere Menschen gering, weil wir ein paar Vorteile oder materielle Vergünstigungen ergattern wollen. Dies ist falsch. Der Gerechte, der sich wirklich im Wege Allahs befindet, weiß reichere und mehr Geschenke in der geistigen Welt, nach denen zu streben sich lohnt. (Juusuf 'Allii)

246. Das heißt: geht den Dingen auf dem Grund, bevor ihr zur Aktion übergeht. Zweifelt nicht die Echtheit der Überzeugung eines Menschen an. (Darjabaadi)

247. Der Friedensgruß war damals ein Merkmal zur Unterscheidung von muslimischen und nichtmuslimischen Arabern, die ansonsten ja dieselbe Sprache hatten. Wenn sich die Muslime in einem Kampf gegen eine nichtmuslimische Stammeseinheit befanden, unter denen ein Muslim war, dann rief dieser: "As-Salamu 'alaikum" oder "La ilaha illa Allah". Gelegentlich hielten ihn die Muslime für einen Kaafir, der dieses nur als eine Taktik anwandte, um sein Leben zu retten. Sie töteten ihn deshalb und nahmen auch sein Eigentum an sich. Dieser Aja wurde offenbart, als wiederholte Ermahnung des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, dies nicht ganz verhindern konnten: "Ihr habt kein Recht, pauschal einen Menschen zu verurteilen, der sich als Mu’min zu erkennen gibt, und anzunehmen, dass er nur lügt, um sein Leben zu retten. Er kann nämlich sehr wohl die Wahrheit sprechen, und ohne gründliche Untersuchung kann man die wirklichen Verhältnisse nicht kennen. In jedem Fall ist es besser für euch, einen Kaafir entkommen zu lassen, als einen Mu’min irrtümlich zu töten." (Mauduudi)

Es gibt einen Konsens unter den Gelehrten, dass selbst ein Kaafir, der das Bekenntnis zum Islam ausspricht, nicht getötet werden darf. (Siddiqi)

Das Gebot: "gebraucht euer Unterscheidungsvermögen" (Tabayjanu تَبَيَّنُو) macht es den Mu’min zur Pflicht, sich in jedem Fall zu versichern, ob die betreffenden Personen wirklich aktiv an Feindseligkeiten beteiligt waren oder nicht. (Asad)

248. Wörtlich: "So seid ihr (auch) zuvor gewesen." Da sich das vorhergehende Gebot auf die ganze Gemeinschaft bezieht, trägt diese Aussage wahrscheinlich die gleiche Implikation, nämlich eine Bezug auf die Zeit, als die muslimische Gemeinschaft durch ihre Schwäche und zahlenmäßige Unterlegenheit den viel mächtigeren Feinden ausgeliefert war. Darum wird den Mu’mins sozusagen gesagt: "Erinnert euch an eure einstige Schwäche und behandelt friedlich gesinnte Menschen unter euren Feinden mit der gleichen Rücksicht, die ihr selbst damals erhofft habt." (Asad)

Euch selbst konnte man zu jener Zeit an nichts anderem als Muslime erkennen als an dem Ausspruch des Bekenntnisses zum Islam. In vielen Fällen geschah die Annahme des Islam nur allmählich. (Darjabaadi)

249. Ihr dürft niemanden töten, der sich zum Islam bekennt, versichert euch aber, dass dies keine Kriegstaktik ist, und seid wachsam. (Siddiqi)

 

95. Nicht gleich sind unter den Mu’mins die, die daheim zurückbleiben250-außer den Kampfunfähigen -und die, die sich mit ihrem Vermögen und ihrer Person auf dem Pfad Allahs einsetzen.251 Allah hat die, die sich mit ihrem Vermögen und ihrem Blut einsetzen um eine Rangstufe vor denen begünstigt, die daheim zurückbleiben. Doch allen hat Allah Gutes verspro­chen.252 Und Allah hat die, die sich mit aller Kraft einsetzen, vor denen, die daheim zurückbleiben, mit gewal­tigem Lohn begünstigt.

250. Wörtlich: "die (zu Hause) sitzen", das heißt diejenigen, die sich nicht am Kampf in Allahs Weg -physisch oder moralisch -beteiligen. (Asad)

251. Der Begriff Mudschahid ist von dem Verb “dschahada“ (hart streben, sich bemühen) abgeleitet. Dschihaad ist Streben für Allahs Sache auf allen Ebenen, und “qital“ (Kampf) ist lediglich ein Aspekt dieses Strebens. (Siddiqi)

Unser Prophet Muchammed, Allahs Frieden und Segen auf ihm, bezeichnete beispielsweise den Kampf des Menschen gegen seine Leidenschaften und Schwächen (Dschihaad An-Nafs) als den "größten Dschihaad". (Asad)

252. Allah hat allen Mu’mins Seine Güte versprochen. Aber unter den mu’min Männern und Frauen gibt es Menschen verschiedener Imaanstärke. Es gibt Menschen mit natürlicher Trägheit: sie tun nicht mehr als das Mindestmaß dessen, was von ihnen verlangt wird. Es gibt Willensschwache: sie lasen sich leicht erschrecken. Es gibt Menschen mit einem so starken Willen und Imaan, dass sie entschlossen sind, jedes Hindernis zu überwinden, seien es ihre eigenen physischen und andere Schwächen oder in der Umwelt enthaltene Faktoren. In einer Zeit des Dschihaad, wenn Menschen alles, sogar ihr Leben für die gemeinsame Sache einsetzen, müssen sie als hervorragender angesehen werden als diejenigen, die zu Hause sitzen, auch wenn bei diesen der gute Wille vorhanden ist und sie geringfügig Hilfe leisten. Der besondere Lohn für die Selbstaufopferung ist ein hoher geistiger Rang und besondere Barmherzigkeit und Vergebung, die von Allahs Liebe und Zufriedenheit herstammt. (Juusuf 'Allii)

 

96. Rangstufen werden ihnen von Ihm zuteil und Verzeihung und Bannher­zigkeit. Und Allah ist verzeihend, barmherzig.

 

Abschnitt 14

97. Wahrlich, jenen, die, die Engel abberufen, während sie sich unrecht tun, wird die Frage gestellt:253 "In welchen (Schwierigkeiten) wart ihr denn?" Sie sagen: "Wir waren unter­drückt auf Erden." (Dann) sagen (die Engel): "War denn die Erde Allahs nicht weit (genug), dass ihr hättet auswandern können?"254 Doch (für solche wird die Hölle ihre Heim­statt sein. Und was für ein übler Aus­gang ist das!

253. Wörtlich: Sie (die Engel) sagen zu jenen, die gegen sich selbst unrecht handeln. (Anm. d. Übers.)

254. Unmittelbarer Anlass für diesen Abschnitt war die Frage der Auswanderung Hidschra von einem Ort, wo der Islam unterdrückt und verfolgt wurde. Es war offensichtlich die Pflicht der Muslime, einen solchen Ort zu verlassen, auch wenn dies bedeutet, dass sie ihre Heimat verlassen mussten, um sich der muslimischen Gemeinschaft anzuschließen, in der sie friedlich leben und die sie im Kampf gegen das sie umgebende Böse unterstützen konnten. Aber die Bedeutung reicht weiter. Der Islam sagt nicht: "Widerstehe nicht dem Übel." Im Gegenteil, er fordert einen ständigen, ununterbrochenen Kampf gegen das Böse. Ein solcher Kampf kann es erforderlich machen, die Heimat zu verlassen, sich zu vereinigen und zu organisieren und gemeinsam mit den Brüdern im Islam die Festung des Bösen zu stürmen. Zu den Pflichten des Muslims gehört es nämlich nicht nur, Gutes zu gebieten; sondern auch, Böses zu verwehren. Deswegen müssen wir uns selbst in eine Position bringen, von der aus der Sturm auf die Festung des Bösen möglich ist, und hierfür ist Allahs Erde weit genug. Position bedeutet nicht einfach nur örtliche Lage, sondern auch moralische und materielle Position. Wir sollen beispielsweise schlechte Gesellschaft meiden, wenn wir sie nicht ändern können, sollten dann aber auch für eine Position sorgen, aus der wir sie ändern können. (Juusuf 'Allii)

Es war also nicht ein wirkliches Unvermögen, das sie dazu veranlasst hat, die Unterwürfigkeit, Erniedrigung und Unterdrückung zu akzeptieren, sondern ganz was anderes. Sie waren auf ihr Geld und ihre Interessen bedacht, und das war, was sie an der Stätte des Kufrs festgehalten hat, obwohl es die Stätte des Islams gab. Sie haben sich an der Enge festgeklammert und ließen die weite Welt Allahs liegen. (Qutb)

Die Zurückgebliebenen sind die, die gegen sich selbst Unrecht tun. Die Vorstellung, dass die Engel zu ihnen kommen, um sie abzuberufen in diesem Zustand der Ungerechtigkeit gegen sich selbst, ist allein ein Gewähr dafür, dass die Seele bewegt wird und erzittert. Es genügt, wenn der Mensch sich vorstellt, dass die Engel zu ihm kommen, um ihn abzuberufen, während er Unrechtes getan hat gegen sich selbst. Es ist der letzte Augenblick und er hat keine Möglichkeit mehr, dies wieder gut zumachen. Die Engel jedoch berufen ihn nicht stillschweigend ab, sondern forschen in seiner Vergangenheit, missbilligen sein Tun und fragen ihn, mit welchen Dingen er seine Tage und Nächte verbracht hat und worum er sich ge­kümmert und womit er sich auf Erden beschäftigt hat. (Qutb)

Wenn in eurer Heimat die Ausübung eurer Religion unmöglich war, warum seid ihr dann nicht zu einem anderen Ort auf Allahs weite Erde ausgewandert? (Darjabaadi)

Der Begriff “Hidschra“ (wörtlich: Auswanderung), abgeleitet von dem Verb hadschara (auswandern) wird im Qur’an in zweierlei Bedeutung gebraucht: einmal in der historischen, wo sie die Auswanderung des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, und seiner Gefährten von Mekka nach Medina bezeichnet, während die andere noch einen moralischen Inhalt hat, nämlich die "Auswanderung" des Menschen vom Bösen zu Allah hin, was nicht unbedingt eine Auswanderung aus der Heimat im physischen Sinne sein muss.

Diese weit gefasste moralische und ethische Bedeutung des Begriffes "Hidschra" ist es, auf die sich dieser Abschnitt bezieht, so wie sich der vorhergehende Abschnitt (Aja 95-96) auf die "Bemühung im Wege Allahs" (Dschihaad) im weitesten Sinne des Wortes bezieht, verbunden sowohl mit physischen als auch moralischen Bemühungen, sowie nötigenfalls dem Einsatz des Eigentums und sogar des Lebens. Während die physische Auswanderung von Mekka nach Medina nach der Rück­gewinnung von Mekka im Jahre 8 n.H. nicht mehr obligatorisch war, blieb die geistige Auswanderung aus der Domäne des Bösen in die der Rechtschaffenheit weiterhin eine Grundforderung des Islam, mit anderen Worten, wer nicht .,vom Bösen zu Allah hin auswandern", kann nicht als Mu’min angesehen werden, woraus sich die Verurteilung all jener erklärt (siehe folgender Aja), die diesbezüglich ihre Pflicht versäumen. (Asad)

 

98. Außer jenen die (tatsächlich) unter­drückt sind unter den Männern und Frauen und Kindern und unfähig, einen Ausweg zu finden und den (rechten) Pfad einzuschlagen.255

255. Wenn wir durch physische, intellektuelle oder moralische Schwäche nicht in der Lage sind, uns für das Gute einzusetzen, dann müssen wir uns damit zufrieden geben, das Böse abzuwehren und uns selbst davor zu schützen. Allahs Barmherzigkeit wird diese Schwäche erkennen und vergeben, wenn sie wirkliche Schwäche ist, nicht einfach ein Vorwand. (Juusuf 'Allii)

Auch: "die den (richtigen) Weg nicht finden können" -indem sie etwa hoffnungslos verwirrt sind und deswegen diese grundlegende Forderung des Islam nicht begreifen können; oder auch, indem diese Forderung ihnen nicht auf angemessene Weise übermittelt und erklärt worden ist. (Asad)

 

99. Dann mag es sein, dass Allah denen vergibt. Und Allah ist vergebend, verzeihend.

100. Und wer auf dem Pfad Allahs auswan­dert,256 findet auf Erden viele Zufluchtsorte257 und Wohlstand. Und wer sein Haus verlässt und für Allah und Seinen Gesandten auswandert258 und es ereilt ihn dann der Tod -ganz gewiss obliegt sein Lohn Allah. Und Allah ist verzeihend, bannherzig.

256. Auswanderung im Wege Allahs ist eine Pflicht, mit drei Ausnahmen:

1. Ein Muslim entschließt sich, in einer nichtislamischen Gesellschaft zu bleiben, mit der festen Absicht, sich dort für die Veränderung dieser Gesellschaft nach islamischem Muster einzusetzen.

2. Er ist schwach und hilflos und mit so schweren Verpflichtungen und Verantwortungen beladen, dass er trotz seines heftigen Wunsches nicht auswandern kann.

3. Muslimische Gemeinschaften sind nicht in der Lage, hilflosen Muslimen Zuflucht zu gewähren. (Siddiqi)

257. “Muradschham“ bedeutet Zufluchtsort oder Ausweg. Das Wort ist von “Radschham“ (Staub) hergeleitet und mit dem idiomatischen Ausdruck "radschhma anfuhu" (seine Nase wurde in den Staub gesteckt; das heißt: er wurde gedemütigt und gezwungen, Dinge gegen seinen Willen zu tun) verbunden. Auf diese Weise bezeichnet muradschham "einen Weg, durch den man sich von seinen Angehörigen ohne deren Einverständnis trennt". Es bedeutet auch Zufluchtsort. (Siddiqi)

258. Wer innerlich schwach und von Habgier und Geiz erfüllt ist, bildet sich ein, dass die Mittel zum Lebensunterhalt von einem bestimmten Land oder bestimmten Umständen abhängig sind. Diese falschen Vorstellungen der realen Mittel zum Lebensunterhalt und zum Überleben sind die Gründe dafür, dass man sich mit Erniedrigung, Unrecht und Versuchung abfindet. Allah verspricht demjenigen, der um Allahs Willen auswandert, dass er auf Allahs Erde Freiheit und Wohlstand finden wird. Und er wird Allah, der ihn beschenkt, leben und überleben lässt, überall finden, wohin er geht. (Qutb)

Wenn es kein "Gebiet des Islam" gibt, wohin die Muslime auswandern können, so gibt es doch jedenfalls Wälder und Gebirge, wo sie ihr Leben mit wilden Pflanzen und Ziegenmilch fristen können, um so der Unterdrückung durch die Gesetze des Kufrs zu entrinnen. (Mauduudi)

 

101. Und wenn ihr auf Erden unterwegs sein, dann ist es kein Vergehen für euch, wenn ihr euer Gebet abkürzt,259 wenn ihr fürchtet, die Kaafir könnten euch Schaden zufügen.260 Wahrlich, die Kaafir sind euer offenkundiger Feind.

259. Der Reisende braucht dringend die ständige Beziehung zu Allah, die ihm auf seinem Weg hilft und seine Ausrüstung vervollkommnet. Das Gebet ist die engste Verbindung zu Allah und es ist das Mittel, mit dem die Muslime Allahs Hilfe in schwierigen Lagen herbeiflehen sollten. Deswegen wird es zum gegebenen Anlass erwähnt. Denn der Reisende, der sich unterwegs ängstigt, braucht nichts dringender, um sein Herz zu beruhigen. Und der Auswanderer braucht nichts nötiger, als sich unter Allahs Schutz zu stellen. Andererseits könnte das Gebet -mit seinem Stehen, Beugen und Niederwerfen ­ihn daran hindern, eine Gefahr rechtzeitig zu erkennen und zu entfliehen und ihn während des Beugens und Niederwerfens angreifen. Aus diesem Grunde ist dem Reisenden erlaubt, bei Furcht vor einer Schädigung das Gebet abzukürzen. (Qutb)

Hier ist die Erlaubnis ausgesprochen worden, auf Reisen das Gebet abzukürzen; die Ajas 102 und 103 handeln von dem Fall, dass im Krieg bei Kampfhandlungen akute Gefahr besteht. Die Kürzung der Gebete in beiden Fällen ist außerdem durch die Praxis des Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, und seiner Gefährten detailliert geregelt. Bezüglich einer Reise ergeben sich zwei Fragen:

1. Wie ist eine Reise definiert?

2. Ist die Angst vor einem Überfall eine wesentliche Bedingung für die Kürzung der Gebete?

Bezüglich Punkt 1 ist es am besten, die Grenzen nicht zu eng zu ziehen und alle Umstände der Reise mitzuberbücksichtigen, weil es auch bezüglich des Fastens (siehe Suura 2:184) gehandhabt werden sollte. Der Text lässt die Einzelheiten offen. Bezüglich Punkt 2 zeigt die Praxis des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, dass Gefahr keine notwendige Bedingung für die Kürzung der Gebete auf Reisen ist, sie wird lediglich als Möglichkeit erwähnt. Der Prophet, Allahs Segen und Frieden auf ihm, kürzte gewöhnlich die Gebete von vier auf zwei Rek'a beim Mittags-, Nachrnittags- und Nachtgebet, die beiden anderen Gebete sind ohnehin kurz. (Juusuf 'Allii)

In Friedenszeiten wird das Gebet auf der Reise von vier auf zwei Rek'a gekürzt; im Krieg bei akuten Kampfhandlungen (oder bei Gefahr) kann weiter gekürzt werden. Das Gebet ist unter allen Umständen eine Pflicht, bezüglich der Form muss jedoch manchmal den Umständen Rechnung getragen werden. Das Gebet sollte gemeinsam verrichtet werden; wenn dies nicht möglich ist, individuell. Wenn es nicht möglicht ist, sich nach der Qibla zu wenden, kann der Betende sich nach einer anderen Richtung wenden. Wenn es nicht möglich ist, zum Gebet eine Rast einzulegen, dann kann man beim Reiten (Fahren) oder sogar im Gehen beten. Sollte es notwendig werden, während des Gebets den Platz zu verlassen, so kann man dies tun, ohne dabei das Gebet unterbrechen zu müssen. In diesem Fall beeinträchtigt es das Gebet nicht, wenn die Kleider schmutzig geworden sind. (Mauduudi)

Es ist ferner erlaubt, Gebete miteinander zu verbinden. Das Mittagsgebet kann mit dem Nachmittagsgebet und das Abend ­mit dem Nachtgebet kombiniert werden. (Siddiqi)

250. Wörtlich: "dass sie euch Schwierigkeiten verursachen" -dies verstehen fast alle Kommentatoren als plötzlichen Angriff. (Asad)

 

102. Und wenn du bei ihnen261 bist und rar sie (als Imam) das Gebet verrichtest, dann soll eine Gruppe von ihnen mit dir (im Gebet) stehen und sie sollen (dabei) ihre Waffen bei sich tragen.262 Und wenn sie ihre Niederwerfung vollzogen haben, dann sollen sie hinter euch Auf­stellung nehmen.263 Und eine andere Gruppe soll dann kommen, die noch nicht gebetet hat, und mit dir beten.264 Doch sie sollen ihre Vorsichtmaßnahmen ergreifen und ihre Waffen bei sich tra­gen. Diejenigen, die kaafir sind, möchten, dass ihr nicht auf eure Waffen und euer Gepäck acht gebt, damit sie euch ganz plötzlich überfallen können.265 Und es ist kein Vergehen für euch, wenn ihr, sofern ihr unter Regen zu leiden habt266 oder krank seid, eure Waffen ablegt. Doch ergreift eure Vorsichtsmassnahmen. Wahrlich, Allah hat für die Kaafir eine erniedrigende Strafe bereitet.267

261. Wörtlich: "Unter ihnen" (nämlich den Mu’mins). Das "Du" in diesem Satz bezieht sich in erster Linie auf den Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, und damit indirekt auf den Führer jeder Gruppe von Mu’mins, die sich im Kampf gegen die "Leugner der Wahrheit" befindet. (Asad)

262. Das Folgende bezieht sich auf das gemeinsame Gebet in einer Kampfsituation. Eine Abteilung der muslimischen Armee spricht die Hälfte des Gebets hinter dem Imam, während die andere Abteilung weiterkämpft, und dann wechseln sich die Abteilungen ab. (Siddiqi)

Dieses Gebot bezieht sich auf die Situation, in der die Möglichkeit eines plötzlichen feindlichen Angriffs besteht, aber keine akuten Kampfhandlungen stattfinden. Bei akuten Kampfhandlungen sollen nach hanafitischer Ansicht die Gebete auf eine späteren Zeitpunkt verschoben werden. Nach Ansicht von Imam Malik und anderen sollte das Gebet mit symbolischen Gesten gesprochen werden, wenn es nicht möglich ist, sich zu verbeugen und niederzuwerfen. Imaam Schafi'i ist sogar der Ansicht, dass während des Gebets die Kampfhandlungen nötigenfalls fortgesetzt werden können. (Mauduudi)

263. Wörtlich: "Wenn sie sich niedergeworfen haben, dass sie (nämlich die andere Gruppe) hinter dir." Dieser idiomatische Ausdruck braucht nicht wörtlich verstanden zu werden: im klassischen arabischen Sprachgebrauch bedeutet kana min wara'w (wörtlich: "er war hinter dir") "er beschützte dich" oder in militärischer Terminologie "er gab dir Rückendeckung". Es bezeichnet also nicht die räumliche Position von zwei Personen oder Gruppen. (Asad)

264. Die Form des "Gebets in einer Gefahrensituation" hängt hauptsächlich von den Gegebenheiten ab. Da der Prophet, Allahs Segen und Frieden auf ihm, selbst dieses Gebet entsprechend verschiedener Umstände verschieden leitete, hat ein muslimischer Armeeführer die Möglichkeit, einer dieser Methoden zu folgen, wie es auf die entsprechende Situation anwendbar ist. (Mauduudi)

265. Das gemeinsame Gebet in Gefahr angesichts eines feindlichen Angriffs beruht auf dem Prinzip, dass die Truppe in zwei Teile aufgeteilt wird: eine Abteilung betet, während die andere den Feind beobachtet, dann betet die zweite Abteilung, während die erste Ausschau hält. Jede Abteilung spricht nur eine oder zwei Rek'at, jedenfalls die Hälfte des Gebets; jede Vorsichtsmaßnahme wird getroffen, um einem feindlichen Überraschungsangriff vorzubeugen; selbst während des Gebets brauchen die Waffen nicht abgelegt zu werden, es sei denn, die Witterung könnte sie beschädigen oder ihrem Träger Unannehmlichkeiten bereiten, oder Krankheit und Müdigkeit erschöpfen seine Kräfte. (Juusuf 'Allii)

266. Das heißt, wenn die Gefahr besteht, dass die Waffen durch ungünstige Witterung beschädigt werden. Dies bezieht sich nur auf diejenigen Soldaten, denen besonders empfindliche Waffen anvertraut worden sind, aber auch auf individuelle Krankheitsfälle, die hier erwähnt werden. Der Begriff matar (wörtlich: Regen) wird im Qur’an allerdings oft im Sinne von "Schwierigkeit" gebraucht: wenn wir diese Bedeutung berücksichtigen, kann der obige Satz wiedergegeben werden mit: "wenn ihr unter Schwierigkeiten leidet"- wodurch weitere Anwendungsmöglichkeiten auf andere Notsituationen eröffnet werden. (Asad)

267. Den Muslimen wird versichert, dass Allah selbst den Kaafir entgegentreten wird, die, die Wahrheit ablehnen. Die hier gebotenen Vorsichtsmaßnahmen sollen sie vom praktischen Standpunkt aus darauf hinweisen, ihrerseits ihr äußerst Mögliches zu tun, den Ausgang aber in Allahs Hand zu legen. (Mauduudi)

 

103. Wenn ihr das (verkürzte) Gebet beendet habt,268 dann gedenkt Allahs im Stehen, im Sitzen und wenn ihr auf euerer Seite liegt.269 Und wenn ihr in Sicherheit seid, dann verrichtet das Gebet (wie üblich). Wahrlich, das Gebet ist für die Mu’mins zu bestimmten Zeiten vorge­schrieben.270

268. Hier gibt es zwei mögliche Interpretationen:

1. "wenn ihr das gemeinsame Gebet beendet habt", und

2. "wenn ihr (durch äußerste Gefahr) das gemeinsame Gebet ganz versäumen müsst, selbst die für solche Situationen vorgesehene abgekürzte Form. " Persönlich ziehe ich letzteres vor, denn es passt besser mit dem folgenden Satz zusammen, der den Menschen erlaubt, während der Gefahrensituation in jeder beliebigen Position Allahs zu gedenken. Wenn jedoch die Gefahr vorüber ist, sollte das vollständige Gebet zur festgesetzten Zeit gesprochen werden. (Juusuf 'Allii)

269. Hier werden die Muslime aufgerufen, abgesehen vom Gebet unter allen Umständen und in jeder Haltung und Situation mit Allah verbunden zu bleiben, denn dies ist die Ausrüstung um die Waffe, die niemals verfallen sollte. Wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist, "dann verrichtet das Gebet", nämlich vollständig und ohne die "Kürzung bei Gefahr", von der hier die Rede ist. (Qutb)

270. Die Zeiteinteilung des täglichen Gebets, das dem "Ich" die Selbstbeherrschung zurückgibt, indem es das Ich in engere Verbindung mit der letztendlichen Quelle von Leben und Freiheit bringt, soll den Menschen vor der mechanisierenden Wirkung von Schlaf und Arbeit bewahren. Im islamischen Gebet gelangt das Ich vom mechanischen Funktionieren zur Freiheit. (Darjabaadi)

 

104. Und seid nicht zaghaft im Kampf mit (euren) Feinden.271 Wenn ihr zu leiden habt, dann haben sie (zumindest) ebenso zu leiden. Doch ihr erhofft von Allah, was sie nicht zu hoffen haben.272 Und Allah ist wissend, weise.

271. Diese Anspielung bezieht sich auf die Expedition von Hamri Al-Asad am Tag nach der Schlacht von Uhud. (Siddiqi)

272. Die Religion sollte in allen unseren Angelegenheiten eine Quelle der Kraft sein, und nicht der Schwäche. Wenn wir uns hart auseinandersetzen und Schwierigkeiten erleiden müssen, so müssen dies andererseits auch diejenigen, die keinen Imaan haben, mit dem Unterschied, dass der Mu’min voller Hoffnung auf Allah ist, während der Mensch ohne Imaan keinen Halt und keine Stütze hat. (Juusuf 'Allii)

Es wäre doch wirklich merkwürdig, wenn die Mu’mins nicht um der Wahrheit willen ebenso viele Schwierigkeiten ertragen könnten wie die Kaafir um der Lüge willen, obwohl letztere kein anderes Ziel haben als diese Welt mit ihrem vergänglichen Nutzen, während die Mu’mins die Zufriedenheit ihres Herrn und eigen Lohn von Dun als höchstes Ziel haben. (Mauduudi)

 

Abschnitt 16

105. Wahrlich, Wir haben dir das Buch mit der Wahrheit herabgesandt, um (damit) du zwischen den Menschen richtest mit dem, was Allah dir273 an Einsicht gewährt hat. Darum werde nicht zum Verfechter der treulos Handelnden.274

273. Das "Du" in diesem und den beiden folgenden Ajas sowie in Aja 113 bezieht sich in erster Linie auf den Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm; darüber hinaus ist jedoch jeder angesprochen, der die Rechtleitung des Qur’an empfangen hat: dies wird aus der Pluralform "ihr" in Aja 109 ersichtlich. Folglich ist der Versuch der meisten Kommentatoren, diesen Abschnitt rein historisch zu erklären, nicht ganz überzeugend, zumal dies eine unnötige Einschränkung einer ansonsten selbstverständlichen ethischen Lehre mit allgemeiner Verbindlichkeit bedeutet. (Asad)

274. Unter Hinweis darauf, dass ihm das Buch offenbart wurde, wird der Prophet, Allahs Segen und Frieden auf ihm, ermahnt, auf grund der Rechtleitung Allahs zwischen den Menschen zu entscheiden. Eng damit verbunden ist das Verbot, sich als Parteigänger für Ungerechte missbrauchen zu lassen, sie zu verteidigen und für sie zu disputieren. Statt dessen folgt die Anweisung, Allah für diesen Disput um Vergebung zu bitten. (Qutb)

Die Kommentatoren erklären diesen Abschnitt bezogen auf den Fall von Ta'ima ibn Ubairaq, der äußerlich Muslim, in Wirklichkeit aber ein Heuchler war und sich Übeltaten aller Art zuschulden kommen ließ. Er stand unter dem Verdacht, Waffen gestohlen zu haben, und als es brenzlich wurde, versteckte er das Diebesgut im Haus eines Juden, wo es dann auch gefunden wurde. Der Jude bestritt seine Schuld und beschuldigte Ta'ima, aber die Sympathien der muslimischen Gemeinschaft waren auf Ta'imas Seite, weil dieser sich nominell zum Islam bekannte. Der Fall wurde dem Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, vorgetragen, der entsprechend den strengen Grundsätzen der Gerechtigkeit, der “Rechtleitung Allahs", den Juden freisprach, trotz aller Versuche, ihn irrezuführen und zu einem falschen Urteil zu Ta'imas Gunsten zu verleiten. (Juusuf 'Allii)

In diesem Abschnitt werden die Muslime allgemein gelehrt, ihre Parteilichkeit nicht der Gerechtigkeit in den Weg zu stellen. Es ist eine reine Unehrlichkeit, wenn jemand die Sache eines Angehörigen seiner eigenen Gruppe vertritt, selbst wenn diese unrecht ist, und einem Angehörigen der anderen Gruppe sein Recht verweigert. (Mauduudi)

Aus diesem Anlas sagte der Prophet, Allahs Segen und Frieden auf ihm: "Ich bin nur ein Mensch. Die streitenden Parteien legen mir ihren Fall vor, und zwar auf solche Weise, dass die einen zungenfertiger sind als die anderen, so dass ich dem einen recht gebe und zu seinen Gunsten entscheide. Wenn ich also durch mein Urteil unrechtmäßig etwas zuspreche, was rechtmäßig einem anderen zusteht, dann gebe ich ihm einen Anteil am Feuer." (Siddiqi)

 

106. Und bitte Allah um Verzeihung. Wahrlich, A1lah ist verzeihend, bann­herzig.275

275. Die Aufforderung, um Vergebung zu bitten, kann sich auf die Muslime beziehen, die eine ungerechte Sache unterstützt hatten. Sie kann auch an den Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, gerichtet sein, der in Gefahr war, sich durch falsche Beweisführung beeinflussen zu lassen. (Siddiqi)

 

107. Und verteidige nicht diejenigen, die gegen sich selbst treulos handeln.276 Wahrlich, A1lah liebt nicht die, die treulos und sündig sind.

276. Unsere Seelen sind uns sozusagen anvertraut. Wir müssen sie vor aller Versuchung schützen. Wer der Kriminalität oder dem Bösen nachgibt, übt Verrat an diesem Vertrauenspfand. Wir werden hier davor gewarnt, uns so weit täuschen zu lassen, dass wir für solche Menschen Partei ergreifen, sei es durch ihr überzeugendes Auftreten oder durch solche Anreize für unsere Parteilichkeit wie etwa die Tatsache, dass sie zu unserem eigenen Volk gehören oder direkt mit uns verbunden sind. Denn wenn wir Gerechtigkeit üben wollen, dann dürfen wir uns nicht durch irgendwelche irrelevanten Faktoren aus dem Gleichgewicht bringen lassen. (Juusuf 'Allii)

Wer sich ungerecht verhält, betrügt sich selbst, unter anderem dadurch, dass er der Gemeinschaft schadet, das er sich selbst zugehörig fühlt, und das ihnen allen Anvertraute veruntreut. In anderer Hinsicht besteht der Selbstbetrug darin, dass er strafbare Handlungen begeht und diese rechtfertigt. Für diese Haltung verabscheut ihn Allah und straft ihn für seine Sünde, somit ist dieses Verhalten zweifellos Selbstbetrug. Der dritte Aspekt ihres Selbstbetruges ist, dass sie sich selbst durch Lüge und Betrug verunreinigen und ihre Seele beschmutzen. (Qutb)

Das heißt: "Du kannst Allah bitten, ihnen zu vergeben, versuche aber nicht, ihr Verhalten zu entschuldigen". Es ist bezeichnend, dass der Qur’an die Veruntreuung eines geistigen oder gesellschaftlichen Gutes als "Selbstbetrug" bezeichnet -so wie er auch regelmäßig eine Person, die absichtlich Sünden oder Fehler (Sulm) begeht, als jemanden bezeichnet, der " gegen sich selbst sündigt" oder" sich selbst Unrecht tut" (Salim nafsahu) -denn jede absichtliche Sünde schädigt geistig den Sünder selbst. (Asad)

Er betrügt in Wirklichkeit sich selbst, weil er alle seine Fähigkeiten des Geistes und der Seele, die ihm anvertraut worden sind, zur Mithilfe in seiner Unehrlichkeit zwingt. Darüber hinaus unterdrückt er sein Gewissen, das Allah ihm gegeben hat, seine Moral zu hüten, so dass es nicht mehr richtig funktionieren und ihn von Unehrlichkeit fernhalten kann. Auf diese Weise kann ein Mensch erst dann anderen gegenüber unehrlich sein, wenn er zuerst sich selbst betrügt. (Mauduudi)

 

108. Sie mögen (ihre Taten) vor den Menschen verbergen, doch vor Allah können sie nichts verbergen, denn Er ist bei ihnen, wenn sie nachts etwas aushecken, womit Er nicht einverstanden ist. Und Allah umfängt alles, was sie tun.277

277. Wörtlich: "vom Glauben" (min Al-Qaul). Es ist anzumerken, dass das Nomen Qaul nicht nur "Aussage" oder "Ausspruch" bedeutet (was seiner ersten Bedeutung entspricht), sondern es wird auch verwendet, um etwas von der Art einer "grundsätzlichen Aussage" zu bezeichnen, etwa eine Ansicht, eine Doktrin oder einen Glaubenssatz -und wird im Qur’an oft in diesem Sinne gebraucht. (Asad)

Ihr Verhalten ist geradezu lächerlich, denn sie verbergen ihren ständigen Betrug vor den Menschen, die ihnen weder Nutzen noch Schaden zufügen können, aber in Anwesenheit Dessen, Der sehr wohl die Macht hat, ihnen zu nützen oder zu schaden, und weiß, was sie aushecken. Und Der gegenwärtig ist, wenn sie Aussagen zu fälschen versuchen, was Er nicht billigen kann. (Qutb)

Die Verschwörungen der Ungerechten sind Allah sehr wohl bekannt, und Er kann sie nötigenfalls entsprechend Seiner vollkommenen Weisheit vereiteln. Das hier gebrauchte Wort muhit (Er umfängt sie) besagt, dass Allah nicht nur alles davon weiß, sondern dass Er auch überall um sie herum anwesend ist: wenn Er in Seiner Weisheit ihr Verhalten zulässt, dann nicht etwa deswegen, weil Ihm die vollkommene Kontrolle darüber fehlt, sondern weil Er das, was Er umfangen hält, zur Verwirklichung Seiner eigenen Pläne verwenden kann. Denn sogar aus Bösen kann Er Gutes hervorbringen. (Juusuf' Allii)

 

109. O ja, ihr seid diejenigen, die sie verteidigt haben in dieser Welt. Doch wer wird sie vor Allah verteidigen am Tag der Auferstehung, oder wer wird ihnen dann ein Beschützer sein?278

278. Und bei Allah, wenn sie am Tage der Auferstehung niemand verteidigen oder beschützen kann, was nützt ihnen die Verteidigung auf Erden, wenn sie ihnen diesen beschwerlichen Tag nicht ersparen kann. (Qutb)

 

110. Und wer Übles tut oder sich selbst Un­recht zufügt, dann aber Allah um Verzeihung bittet, der wird Allah ver­zeihend, barmherzig finden.279

279. Dieser Aja ist der Anfang von drei Ajas, die die Grundsätze festlegen, nach denen Allah mit den Menschen verfährt und nach denen sie miteinander umgehen sollen. Der erste Aja öffnet die Tür sperrangelweit für die Vergebung und lässt jedem reuigen Sünder die Hoffnung auf Vergebung und Verzeihen. Wer. eine böse Tat begeht, womit er anderen oder sich selbst schadet, wird Allah verzeihend und barmherzig finden, wann immer er reuig und um Vergebung bittend zu Ihm kommt. Somit nimmt sich jeder in Acht in allem, was er tut, ist zugleich aber beruhigt, dass er nur für das eigene Tun zur Rechenschaft gezogen werden kann. (Qutb)

 

111. Und wer Sünden begeht,280 der begeht sie gegen sich selbst.281 Und Allah ist wissend, weise.

280. "Kasaba" : verdienen, gewinnen, für etwas wertvolles arbeiten, Vorsorge für das künftige Leben treffen. So wie wir die Arbeit des Tages tun, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, so bringt uns im geistigen Sinne das Gute oder Böse, das wir tun, Gutes oder Böses im zukünftigen Leben ein. In den Ajas 110 -112 werden drei Fälle berücksichtigt:

1. Wenn wir Böses tun und bereuen, vergibt Allah uns;

2. Wenn wir Böses tun und nicht bereuen in der Annahme, wir könnten es verheimlichen, dann irren wir uns: nichts bleibt vor Allah verborgen, und wir müssen im zukünftigen Leben die gesamten Folgen tragen, denn wir können unserer persönlichen Verantwortung nicht entgehen.

3. Wenn wir Böses tun, sei es in einer wichtigen oder unwichtigen Angelegenheit, und dies einem anderen zur Last legen, dann bleibt unsere eigene ursprüngliche Verantwortung für das Böse bestehen, aber wir fügen dem noch etwas anderes hinzu, indem wir die Schlinge der Lüge um unseren Hals legen, die selbst unsere kleinen Vergehen in große Sünden verwandelt und uns in jedem Falle selbst in diesem Leben mit Schande und Schmach brandmarkt. (Juusuf 'Allii)

281. Im Islam gibt es keine Erbsünde, so wie sie sich in den Lehren der Kirche findet. Ebenso wenig gibt es eine andere Wiedergutmachung als die, die in persönlicher Verantwortung geschieht. (Qutb)

Wörtlich: "Wer eine Sünde erwirbt, erwirbt sie nur gegen sich selbst". (Asad)

 

112. Und wer einen Fehler oder eine Sünde begebt282 und sie dann einem Unschuldigen zur Last legt, der lädt offen­kundige Schändlichkeit und Sünde auf sicb.283

282. Der Unterschied zwischen den hier nebeneinander erwähnten Begriffen "Hati’a" (Fehler) خَطِيئ und "Ism" (Sünde) إِثْم besteht darin, dass es sich bei ersterem sowohl um eine absichtliche als auch um eine unabsichtliche Tat handeln kann, deren Auswirkung in erster Linie dem Täter schaden, während letzteres eine absichtliche Handlung ist, die nicht nur dem Täter selbst schadet, sondern auch die moralische Basis der Gesellschaft angreift. (Siddiqi)

283. Zuweilen muss er die Last zweier Vergehen tragen -die der Schändlichkeit seiner Anschuldigung und die der Sünde selbst. Mit diesen drei Aussagen (Aja 110 -112) entwirft der Qur’an den Maßstab der Gerechtigkeit, die jedem das zur Last legt, was er begangen hat. (Qutb)

Verleugnung und alle ungerechten Anschuldigungen, die dem Ruf eines anderen Menschen schaden, sind immer ein deutlicher Charakterzug einer degenerierten Gesellschaft. Der Islam verurteilt sie aufs schärfste, damit sie nicht einmal in so geringfügiger Form auftreten können, dass sie dem Auge des Gesetzes entgehen. (Darjabaadi)

 

 Abschnitt 17

113. Und wäre nicht die Huld Allahs mit dir und Seine Bannherzigkeit, dann hätte gewiss ein Teil von ihnen sich angeschickt, dich irrezuführen. Doch sie rühren niemanden irre außer sich selbst284, und dir können sie nicht den geringsten Schaden zufügen. Und Allah hat dir das Buch und die Weisheit herabgesandt und hat dich gelehrt, was du nicht wusstest. Und die Huld Allahs, die Er dir gewährt hat, ist gewaltig.285

284. Das heißt: "Selbst wenn es ihnen gelungen wäre, dich durch falsche Berichte über diesen Fall zu täuschen und eine Entscheidung zu ihren Gunsten zu erlangen, dann hätten sie nicht dir Schaden zugefügt, sondern sich selbst, denn auch in diesem Fall wären sie vor Allah schuldig gewesen und nicht du. Der wirklich Schuldige ist nämlich derjenige, der den Richter täuscht, um ein falsches Urteil zu erlangen, in dem er selbst begünstigt wird, und nicht der Richter, der aufgrund des ihm vorgelegten Beweismaterials ein Urteil sprechen muss. (Mauduudi)

'Amr ibn Al-'As berichtet, dass unser Prophet Muchammed, Allahs Segen und Frieden auf ihm, einmal sagte: "Wenn ein Richter eine Entscheidung trifft, nachdem er sein Bestes getan hat, gerecht zu entscheiden, und er trifft das Richtige, dann gibt es zwei Belohnungen für ihn; wenn er aber eine Entscheidung trifft, nachdem er sein Bestes getan hat, gerecht zu entscheiden, und er irrt sich, dann bekommt er (nur) eine Belohnung." (Siddiqi)

285. Lediglich durch Allahs Gnade war es unmöglich, den Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, irrezuführen. (Darjabaadi)

Die Offenbarung ist eine Gnade Allahs für den Menschen in dieser Welt, durch die der Mensch zu einem neuen Leben erweckt wird und so zu existieren beginnt, wie er zum ersten Mal durch den ersten Hauch des Geistes hervorging: (Qutb)

 

114. Nichts Gutes ist in vielen ihrer geheimen Besprechungen, es sei denn, jemand ruft zur Mildtätigkeit auf oder zur Güte oder zur Versöhnung unter den Men­schen.286 Und wer das tut, um Allahs Wohlgefallen zu erlangen, dem werden Wir gewiss gewaltigen Lohn zuteil werden lassen.287

286. Wörtlich: "Es gibt nicht Gutes in vielem von ihrem geheimen Geflüster (narwa) -ausgenommen derjenige, der ermahnt.. ."

Auf diese Weise sind geheime Gespräche für positive, das Allgemeinwohl fördernde Ziele -beispielsweise Friedens­verhandlungen zwischen Staaten und Gemeinschaften -vom Tadel des "geheimen Geflüsters" ausgenommen, denn vorzeitige Veröffentlichung kann solchen Zielen manchmal schaden oder (wenn mit solchen Fällen Wohltätigkeit verbunden ist) die Gefühle der Betroffenen verletzen. (Asad)

Gewöhnlich dienen Heimlichkeiten bösen Zielsetzungen oder geschehen aus zweifelhaften Gründen oder weil die betroffenen Personen sich schämen und wissen, dass sie schlecht angesehen wären, wenn ihre Handlungen oder Absichten bekannt würden. Der Islam missbilligt deswegen Heimlichkeiten und liebt und empfiehlt Offenheit in allen Beratungen und Handlungen. Aber in drei Fällen ist Geheimhaltung erlaubt und sogar empfehlenswert; vorausgesetzt, dass alles mit guter Absicht geschieht, um Allahs Wohlgefallen zu erlangen:

1. Wenn es um Wohltätigkeit oder Almosen geht, sei es materielle Hilfe oder Hilfe in moralischen, intellektuellen oder geistigen Angelegenheiten; Offenheit ist hier vielleicht für den Empfänger unangenehm, und man muss seine Gefühle berücksichtigen;

2. wo ein unangenehmes Eingreifen des Gesetzes erfolgen muss; so etwas muss vollzogen werden, aber es ist unangebracht, dies zu veröffentlichen und damit die Beteiligten zu demütigen oder ihre Demütigung dadurch noch zu vermehren;

3. Wo es um eine empfindliche Frage streitender Parteien geht, die versöhnt werden sollen; die Beteiligten können der Öffentlichkeit gegenüber sehr empfindlich reagieren, auf private Einflüsse aber sehr ansprechbar sein. (Juusuf Allii)

287. Der Islam betont immer die Richtigkeit der Motivation und die Reinheit der Absicht zur Handlung. (Darjabaadi)

 

115. Und wer sich gegen den Gesandten auflehnt, nachdem ihm die Rechtleitung deutlich geworden ist und einem ande­ren Pfad folgt als dem der Mu’mins, den lassen Wir den Weg gehen, den er für sich gewählt hat288 und in der Hölle lassen Wir ihn brennen. Und ein übler Ausgang ist das!

288. Wörtlich: "den werden wir dahin (sich) wenden (lassen), wohin er (selbst) sich wendet." Eine Betonung der Entscheidungs­freiheit des Menschen. (Asad)

Das heißt: Der unehrliche "Muslim" wandte sich gegen den Islam, und so ließ Allah ihn auf diesem Wege weitergehen. Der historische Vorgang geschah folgendermaßen: als die wahren Umstände des Diebstahls (vergleiche vorige Ajas) aufgedeckt worden waren und der Jude freigesprochen und Ta'ima für schuldig befunden wurde, verließ der Heuchler Medina und schloss sich in Mekka den Feinden des Propheten, Allahs Segen und Frieden, an, um ihm offen entgegenzutreten. (Mauduudi)

 

Abschnitt 18

116. Wahrlich, Allah verzeiht nicht, dass Ihm (Götzen) an die Seite gestellt werden. Doch Er verzeiht davon abgesehen (weniger Schwerwiegendes) wem Er will. Und wer Allah (Götzen) an die Seite stellt, der ist fürwahr weit in die Irre gegangen.289

289. Vergleiche Suura 4:48 und Fußnoten. Abgötterei im geistigen Reich ist wie Hochverrat in einem politischen Staat. (Juusuf 'Allii) Götzendienst ist dadurch gekennzeichnet, dass man neben Allah andere Gottheiten verehrt, wie es in der vorislamischen Zeit bei den Arabern sowie bei anderen polytheistischen Religionen der Fall ist, oder indem man Eigenschaften Allahs nicht nur Allah, sondern auch Menschen zuschreibt. Ein Beispiel sind die Juden und Christen, von den der Qur’an sagt:

"Sie haben ihre Priester und Gelehrten neben Allah zu Herren genommen." (Suura 9 Aja 30)

Damit ist nicht gesagt, dass sie diese anbeten, sondern sie schreiben ihnen gesetzgebende Gewalt zu, die allein Allah zusteht, und folgen ihrer Erlaubnis und ihrem Verbot. Damit verleihen sie ihnen Eigenschaften Allahs, und somit trifft auf sie der Vorwurf der Götzendienerei zu. Götzendienerei wird nicht vergeben, wenn ein Mensch in diesem Zustand stirbt. Für alles andere bleibt die Tür der Vergebung offen -entsprechend Allahs Entscheidung. (Qutb)

 

117. Sie rufen an Seiner Stelle nur weibliche Gottheiten290 an, doch (damit) rufen sie fürwahr niemand anderen an als den rebellischen Scheytaan,291

290. Die vorislamischen Araber hielten die Engel für Töchter Allahs; sie machten Bilder von ihnen und gaben ihnen weibliche Namen: Lat, Ussa, Manat. Dann beteten sie diese Götzen in ihrer Eigenschaft als "Töchter Gottes" an in der Erwartung, sich dadurch Allah nähern zu können. Verschiedentlich wurde auch der Teufel angebetet; der arabische Dichter Kalbi sagt, dass einige Stämme die Qinn verehrten. (Qutb)

Einheit, Macht und Güte Allahs kommen so deutlich in der Natur zum Ausdruck und im menschlichen Geist, wenn dieser sich im Einklang mit dem universalen Geist befindet, dass nur völlige Entartung solchen geistigen Hochverrat verursachen kann. Diese Sünde erwächst aus entarteten Vorstellungen der Sexualität oder des menschlichen Ego. Entartete Sexualität führt zu der Vorstellung, das Geschlecht spiele in geistigen Dingen eine Rolle. Daher entstehen solche furchtbaren Phantasiegeschöpfe wie die blutdürstige indische Göttin Kali, oder Heute, die Göttin des Hasses und der Rache in der griechischen Mythologie. Selbst in schönen Fonnen wie Sarasvati (die Göttin der Gelehrsamkeit) oder Minerva (die jungfräuliche Göttin des Spiels und der Künste), ganz zu schweigen von Venus (der Göttin fleischlicher Lust) zerstört die Betonung der Geschlechtlichkeit die richtige geistige Perspektive. Entartete Vorstellungen vom eigenem Selbst werden in der Geschichte vom Scheytaan verdeutlicht, der in seiner Arroganz so aufgeblasen war, dass er Allah den Gehorsam verweigerte, woraufhin Allah ihn verfluchte. Wenn diesen beiden Entartungen freier Lauf gelassen wird, zerstören sie völlig unsere geistige Natur und entstellen Allahs Schöpfung. Darum ist Götzendienerei nicht nur eine äußerliche Sünde, sondern zerrüttet uns vollkommen. (Juusuf 'Allii)

Der Begriff "Inat" (plural von unta, "weibliches Wesen") scheint bei den vorislamischen Arabern für ihre Götzen angewendet worden zu sein, wahrscheinlich, weil die meisten von ihnen weiblich waren. Von daher bezeichnet die Pluralform inat "unbelebte Dinge". ibn 'Abbas, Qatadah und Al-Hassan Al-Basri erklären, das Wort bedeute "irgend etwas Passives und Lebloses"; diese Definition hat auch Radschib übernommen. Andererseits erwähnt Tabari eine Überlieferung von 'Urwah, entsprechend der in einer  'A'ischa gehörenden Qur’anabschrift das Wort authan (Götzen) statt inat enthalten gewesen sein soll (vergleiche auch Samachsari und ibn Kasir). In diesem Zusammenhang ist die Übersetzung "leblose Symbole" am ehesten angebracht, denn dieser Ausdruck verbindet die Vorstellung von "Götzen" mit der von "leblosen Dingen". (Asad)

291. Während (wohl) niemand Scheytaan verehrt, indem er vor ihm gottesdienstliche Handlungen ausführt, handelt ein Mensch, der sich ihm unterwirft und ihm folgt, wohin immer er ihn verführt, wie jemand, der Scheytaan anbetet. Dies verdeutlicht auch, inwiefern man jemanden in Wirklichkeit "anbetet", indem man ihm blind gehorcht. (Mauduudi)

 

118. Den Allah verflucht hat. Und er sagte: "Ich werde gewiss von Deinen Dienern eine bestimmten Teil nehmen,292

292. Sie riefen den Scheytaan, ihren alten Feind an und ließen sich von ihm inspirieren und zum Irrtum verleiten. Diesen Teufel den Allah verflucht hat und der seine Feindschaft den Menschen gegenüber offen bekundet, der sie irreführt und dazu bringt sich auf dem Weg der Sünde falsche Hoffnungen zu machen, dass sie am Ende nicht bestraft würden. (Qutb)

Scheytaan erhielt Allahs Erlaubnis, den Menschen in Versuchung zu führen; dies war eine Implikation des freien Willens, den Allah dem Menschen gegeben hatte. Scheytaan prahlt damit, dass der von ihm verführte Teil der Menschheit in seiner Natur so entartet sein wird, dass man ihn als von Scheytaan gebrandmarkt erkennen kann, oder dass er regelrecht ihm gehört. (Juusuf ' Allii)

 

119. Und ich werde sie gewiss irreführen und falsche Wunschvorstellungen in ihnen wecken293 und ihnen gebieten, die Ohren ihres Herdenviehs auf­zuschneiden294 und die Schöpfung Allahs zu verunstalten.295 Und wer sich Scheytaan zum Freund nimmt anstelle von Allah, der hat fürwahr einen offenkundigen Verlust erlitten.296

293. Scheytaan täuscht mit falschen Bedürfnissen, Aberglauben und falschen Befürchtungen. (Juusuf 'Allii)

294. Die Ohren der Tiere abzuschneiden ist lediglich ein Fall von abergläubischen Handlungen, deren Sklaven Menschen werden, wenn sie sich an falschen Göttern orientieren. Astrologie, Magie und Glaube an nichtexistente Dinge führen den Menschen von Allah weg. (Juusuf ’Allii)

Ein abergläubischer Brauch der alten Araber bestand darin, nach der Geburt ihres fünften oder zehnten Jungen einer Kamelstute die Ohren abzuschneiden und sie ihrer Gottheit zu weihen und nicht mehr zur Arbeit heranzuziehen. (Mauduudi)

295. "Allahs Schöpfung verunstalten" hat sowohl eine physische als auch eine geistige Bedeutung. Wir erleben, dass viele Manipulationen an Menschen und Tieren entgegen ihrer wahren, von Allah anerschaffenen Natur vorgenommen werden, teilweise aus Aberglauben, teilweise aus egoistischen Gründen. Im geistigen Bereich ist es noch schlimmer. Wie viele Wesen werden innerlich verkrüppelt und verkümmern oder werden durch grausame Sitten und Bräuche an der Entfaltung ihrer ursprünglichen Eigenschaften gehindert? Allah hat den Menschen rein erschaffen: das Böse entstellt das Bild. (Juusuf ’Allii)

Dies bezieht sich nicht auf die Veränderungen der Schöpfung, die der Mensch vornimmt, um auf richtige und angemessene Weise von ihr Gebrauch zu machen, sonst wäre jede kulturelle Äußerung eine Scheytaanische Vorführung. Scheytaanische Veränderungen liegen vor, wenn der Mensch die Geschöpfe entgegen der menschlichen Natur und entgegen ihrer natürlichen Funktion missbraucht, wie etwa Sodomie, übertriebene Askese und ähnliches. (Mauduudi)

Solche Manipulation kann verschiedene Formen annehmen, beispielsweise Vergötterung von Allahs Geschöpfen, Entstellung der Religion Allahs durch Verdrehen der Gebote und Verbote, Deformierung oder Missbrauch von Menschen und Tieren, Missbrauch der Dinge, die Allah zum Guten geschaffen hat, für Böses. (Siddiqi)

296. Wer sich Allah zum Freund macht, ist gerettet und hat gewonnen. Wer sich aber den Scheytaan zum Freund nimmt, ist verdammt und verloren. (Qutb)

 

120. Er macht ihnen Versprechungen und weckt Wunschvorstellungen in ihnen. Und Scheytaan verspricht ihnen nichts anderes als Verblendung.297

297. Scheytaans Erfolg beruht einzig und allein auf falschen Versprechungen und Betrug. Um einzelne Menschen und Gemeinschaften zu verleiten, präsentiert er seine Irrwege in verführerischen Farben, um seine Opfer zu ermutigen. Den einen verführt er, indem er Vergnügen und Erfolg verspricht. Einigen stellt er die Sicherheit durch nationale Macht und Reichtum in Aussicht, anderen das Wohlergehen der Menschheit, wieder anderen redet er ein, sein Weg sei der Weg, die Wahrheit zu finden. Einige verlockt er, indem er ihnen versichert, es gäbe keinen Allah und keine Auferstehung und das Leben ende mit dem Tod, während der anderen eine Zusicherung macht, sie könnten durch Vermittlung des einen oder anderen Heiligen der Verantwortung im zukünftigen Leben entgehen. (Mauduudi)

Der Begriff "ruruur" غُرُور bezeichnet alles, womit der Geist verblendet oder getäuscht werden kann, beispielsweise Hingabe an irdische Vergnügen, oder auch die absurde Annahme, die Ziele und Möglichkeiten des Menschen seien unbegrenzt. (Asad)

 

121. Diese sind es, deren Aufenthaltsort die Hölle ist und sie werden aus ihr kein Entrinnen finden.

122. Doch diejenigen, die den Imaan verinnerlichen und gute Werke tun, werden Wir gewiss in Gärten eingehen lassen, durch die Ströme ffießen.298 Dort werden sie ewig verweilen. Und das Versprechen Allahs ist wahr. Und wer könnte wahr­haftiger sein in dem, was er sagt, als Allah?299

298. Wörtlich: Unter denen Ströme fließen. (Anm. d. Übers.)

299. Im Gegensatz zu den leeren Versprechungen des Scheytaans ist Allahs Versprechen wahr. (Darjabaadi)

 

123. Es geht weder nach euren Wunschvor­stellungen noch nach den Wunschvor­stellungen der Besitzer des Buches. Wer Übles tut, dem wird entsprechend vergolten,300 und er wird außer Allah keinen Beschützer und keinen Helfer finden.

300. Persönliche Verantwortung wird als Grundsatz des Islam immer wieder betont. Darin inbegriffen sind Imaan und rechtes Verhalten. Dieser Imaan ist keine formale Angelegenheit: er beginnt mit einer Willensäußerung, wenn er aber wahr und aufrichtig ist, erlasst er das gesamte Dasein und führt zum rechten Verhalten. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich von einer anderen Art von Imaan, der Heil verspricht auf Grund der Vorstellung, jemand, an den wir den Imaan verinnerlichen sollen, habe die Sünden der Menschen hinweggekommen, oder einer anderen Art, die besagt, man sei auf Grund einer besonderen Volkszugehörigkeit ("Kinder Ibrahiims") oder einer bestimmten Kastenzugehörigkeit privilegiert, um das Verhalten würde nach einem anderen Maßstab als das anderer Menschen beurteilt. Wer immer du bist, wenn du Böses tust, musst du seine Konsequenzen tragen, sofern nicht Allahs Barmherzigkeit dir zu Hilfe kommt. (Juusuf 'Allii)

Die Juden und Christen behaupteten, dass sie Allahs Kinder und Lieblinge seien. Und sie sagten: "das Feuer wird uns nur für einige Tage berühren...". Und weil vielleicht auch manchen Muslimen die Idee kommen könnte, das beste Volk zu sein, das je für die Menschheit hervorgebracht wurde, deswegen werde Allah über ihr Vergehen hinwegsehen, kamen diese Worte, um allen klar zu machen, dass nur die eigenen Taten den Ausschlag geben. Es wird alles einem Maßstab unterzogen, und zwar die Hingabe an Allah zusammen mit den guten Taten. (Qutb)

Aufgrund 'dieses Ajas fragte Abu Bakr den Propheten -Friede sie mit ihm: "Gesandter Allahs, wie ist nach diesem Aja noch Rettung möglich, wenn wir für jede üble Tat bestraft werden?" Er erwiderte: "Allah vergibt dir, Abu Bakr. Bist du nicht manchmal krank oder erschöpft oder traurig oder in Bedrängnis?" "Doch", antwortete Abu Bakr. Der Prophet sagte: "Das alles sind Dinge, mit denen die Sünden abgegolten werden." (Juusuf 'Allii)

 

124. Und wer gute Werke tut, sei es Mann oder Frau, und mu’min ist,301 der wird ins Paradies eingehen und dem wird nicht im geringsten302 unrecht getan.

301. Dies ist der Kernsatz der islamischen Lehre von der Vergeltung Allahs. Allah nimmt die guten Taten von mu’min Menschen an, seien sie Männer oder Frauen. (Siddiqi)

Bezüglich geistiger Verdienste gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Es hat bei Muslimen nie zur Debatte gestanden, ob Frauen eine Seele haben oder nicht. (Darjabaadi)

302, Naqir: die Rille in einem Dattelkern, ein Ding ohne jeden Wert. Vergleiche auch Suura 4:53 und Fußnote. (Juusuf 'Allii)

 

125. Und wer könnte besser sein im Diin303 als' wer sich Allah hingibt und Gutes tut und dem Bekenntnis Ibrahims folgt, der aufrichtig mu’min war.304 Und Allah hat Sich Ibrahim zum Freund genommen.305

303. Islam ist der Same, aus dem gute Taten erwachsen. Die scheinbaren Tugenden, die nicht aus diesem Samen wachsen, sind lediglich Schaustellung, und der Samen, aus dem keine guten Taten sprießen, ist mangelhaft und beinahe tot. Ein guter Samen und gute Taten sehen zueinander wie Ursache und Wirkung. Eine Wirkung kann nicht ohne Ursache zustande kommen, und jede Ursache muss ihre Wirkung haben. (Siddiqi)

304. In der islamischen Lehre wird Ibrahim as mit dem Ehrentitel "Freund Allahs" bezeichnet. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass er mehr war als ein sterblicher Mensch. Aber sein Imaan war rein und wahrhaftig, und sein Verhalten war konsequent und rechtschaffen unter allen Umständen. Von ihm gehen jene drei Ströme religiösen Denkens aus, die später in Musa, 'Isa und Muchammed Allahs Segen und Frieden auf ihnen allen, ihren Ausdruck fanden. (Juusuf 'Allii)

305. Das deutsche Wort "Freund" gibt nicht ganz das wieder, was das arabische Wort "Haliil" خَلِيلا ausdrücken will, das einen engen und aufrichtigen Freund bezeichnet, dem niemand an Liebe gleichkommt, und dem volles Vertrauen entgegengebracht wird. (Darjabaadi)

 

126. Und Allah gehört, was in den Himmeln und was auf Erden ist. Und Allah umfängt alle Dinge.306

306. "Muhiit" مُّحِيط: vergleiche Suura 4: 106 und Fußnote. (Juusuf 'Allii)

Da alles im Himmel und auf Erden Allah gehört, sollte sich der Mensch vorbehaltlos Ihn hingeben und nicht auf falschen Unabhängigkeitsansprüchen bestehen. Es entspricht eher der menschlichen Natur, Sein Diener zu werden und Ihm zu gehorchen, ohne sich gegen Ihm aufzulehnen. (Mauduudi)

Hier wird die Vernunft des Menschen angesprochen. Ein wenig Nachdenken und Beobachtung genügt, um dem Menschen zu zeigen, dass das gesamte Universum einem Gesetz Allahs unterworfen ist und alle Erscheinungen von Allahs Willen gesteuert werden. Die gesamte Natur legt davon Zeugnis ab. Wenn nun aber das gesamte Universum Allah gehorcht und selbst der Mensch im physischen Bereich seines Lebens gezwungen ist, Seinen Gesetzmäßigkeiten zu folgen, wie unklug ist es dann von ihm, wenn er sich in den Lebensbereichen, in denen ihm Willensfreiheit gegeben ist, Allahs Geboten widersetzt! (Siddiqi)

 

Abschnitt 19

127. Sie bitten dich um eine Anweisung hinsichtlich der Frauen.307 Sprich: "Allah gibt euch Anweisung ihretwegen. Und (bedenkt), was euch im Buch bezüglich der verwaisten Mädchen308 vorgetragen worden ist, denen ihr nicht gegeben habt, was für sie vorgeschrieben ist, und die ihr zu heiraten begehrt, und (bezüglich) der Schwachen und Unterdrückten310 unter den Kindern. Und ihr sollt die Rechte der Waisen wahren.311 Und was ihr an Gutem tut, wahrlich, Allah weiß wohl darum.

307. Das heißt: über die Gesetze bezüglich der Ehe, des Erbanteils der Frauen und so weiter. "Fetwa" oder "ifta" bedeutet Erläuterung einer gesetzlichen Verfügung" in Antwort auf eine Anfrage. Da die in diesem Abschnitt erwähnten Gesetze bereits am Anfang dieser Suura behandelt worden sind, soll die erneute Bezugnahme darauf die besondere Wichtigkeit der damit verbundenen Probleme betonen und die Verantwortung hervorheben, die Männer ihren schwächeren Partnern gegenüber haben. Entsprechend dem im ganzen Qur’an befolgten System folgen -wie in diesem Falle -auf einen längeren Abschnitt mit rein moralischen oder ethischen Fragen Ajas bezüglich der sozialen Gesetzgebung, mit der Zielsetzung, die enge Beziehung zwischen geistigen Leben des Menschen und seinem gesellschaftlichen Verhalten hervorzuheben. (Asad)

Die ersten Ajas dieser Suura warfen viele Fragen bezüglich der Frauen auf, die der Klärung bedurften. Die Leute brannten darauf, die Vorschriften ihrer Religion, die ihr neues Leben gestaltete, kennen zu lernen, um eine Übereinstimmung zwischen ihrem tatsächlichen Leben und diesen Vorschriften henustellen. Sie wollten eine völlige Loslösung von ihrer Vergangenheit und ihrer Unwissenheit mit all ihren Überlieferungen, Traditionen, Sitten und Gebräuchen. Zugleich wussten sie den Wert dieser totalen Veränderung zu schätzen, die der Islam in ihrem Leben verursacht hatte; anders ausgedrückt, den Wert dieser neuen Geburt. Somit finden wir hier die Belohnung für ihre Neugierde und Inbrunst und ihre Entschlossenheit, diese Vorschriften zu befolgen. Eine Belohnung, die so zum Ausdruck kommt, dass Allah selbst die Beantwortung ihrer Fragen übernimmt. (Qutb)

308. Immer wieder wird der muslimischen Gemeinschaft eingeschärft, in ihrer Behandlung der Frauen, Waisen, Kinder und aller Menschen, deren Schwäche besondere Rücksichtnahme erfordern, gerecht zu sein. Das Gesetz bezüglich Witwen, Waisen, Erbschaft, Brautgabe und Eheschließung wurde bereits in Suura 4:2-3 dargelegt, und hier sollen weitere Details behandelt werden. "Jatama An-Nisaa" يَتَامَى النِّسَاء bedeutet meines Erachtens Waisen der Frauen, nämlich die verwaisten Kinder der nach der Schlacht von Uhud Hinterbliebenen Witwen, für welche die Gemeinschaft verpflichtet war zu sorgen. Einige Kommentatoren sind der Ansicht, darunter seien "weibliche Waisen" zu verstehen. Ob es sich bei den Frauen aber um Witwen oder Waisen handelte, es war auf jeden Fall nicht recht, ihre hilflose Lage auszunutzen und ihnen ihre Brautgabe oder ihren Erbanteil vorzuenthalten. (Juusuf 'Allii)

309. Vergleiche Aja 3 dieser Suura und entsprechende Fußnoten, (Asad)

310. Sowohl Witwen als auch Waisen müssen unterstützt werden, weil sie gewöhnlich misshandelt und unterdrückt werden. In Gemeinschaften, deren Bürgerrechte auf Stärke aufgebaut sind, hat der Schwächere das Nachsehen, und die öffentliche Meinung erwartet nichts anderes. Diese Doktrin wird in Nietzsches Philosophie des Übermenschen hervorgehoben, und einige Militärnationen unserer Zeit scheinen diese Rückkehr zu unseren primitiven Instinkten zu ihrem Wahlspruch zu machen. Selbst in modernen Demokratien gemäßigter Art wird oft gesagt, es sei das Schicksal der Minderheiten zu lei­den: hier ist zahlenmäßige Stärke der Freibrief zu Macht und Privilegien. Während der Islam Stärke durchaus positiv be­wertet, befiehlt er größte Fürsorge für Schwache und Unterdrückte in jeder Hinsicht -im Besitzrecht, in gesellschaftlichen Rechten und im Recht auf Entwicklungsmöglichkeiten. Geistige Stärke oder Schwäche hat nicht unbedingt einen Zusam­menhang mit physischer oder zahlenmäßiger Stärke. (Juusuf 'Allii)

311. Dies bezieht sich auf die Rechte der Waisen in Suura 4:1-14. (Mauduudi)

 

128. Und wenn eine Frau Grausamkeit312 oder Entfremdung313 von ihrem Ehe­mann befürchtet, dann schadet es ihnen nicht, wenn sie sich auf friedliche Weise miteinander versöhnen,314 denn die Versöhnung ist vorzuziehen. Und die Seelen neigen zu Habgier.315 Doch wenn ihr Gutes tut und mutaqi seid, dann ist Allah wahrlich wohl vertraut mit dem, was ihr tut.316

312. Siehe Fußnote 89 zu 4:34 (Anm. d. Übers.)

"nuschus"  نُشُوزاً - Grausamkeit könnte hier auch mit Verletzung der ehelichen Pflichten übersetzt werden.(Anm. d. Übers.)

313. Hartnäckigkeit oder Grausamkeit beziehungsweise Entfremdung oder böswilliges Verlassen. (Darjabaadi)

314. Wenn durch Verzicht auf Forderungen auf beiden Seiten eine Versöhnung herbeigeführt werden kann, muss von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden. (Siddiqi)

315. Diese Worte treffen den wahren Grund der Entfremdung zwischen Mann und Frau. Gier führt zu Bitterkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen, während Großzügigkeit und Selbstlosigkeit den Weg für Herzlichkeit zwischen ihnen freimacht. (Siddiqi)

Der Islam berücksichtigt alle Aspekte der menschlichen Seele. Er versucht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, die Seele zum höchsten Stand, der ihrer Natur gegeben ist, emporzuheben, während er gleichzeitig nicht die Grenzen der menschlichen Natur ignoriert und den Menschen zu etwas zwingt, was ihm unerträglich und unmöglich ist. Weder bestätigt er den Menschen in seiner Schwäche und Mangelhaftigkeit, noch täuscht er ihn darüber hinweg. Der Islam behandelt den Mensch entsprechend seiner Naturanlagen. Und er ist ein wunderbares Geschöpf, das als einziges mit beiden Beinen auf der Erde steht, während sein Geist frei dem Himmel zustrebt, und dennoch sind Geist und Körper nicht getrennt.

Eine dieser Naturanlagen, von denen hier die Rede ist, ist sein Geiz. Und Geiz ist ein Bestandteil jeder Seele mit all ihren Formen; zum Beispiel geizen mit Geld und geizen mit Gefühlen. (Qutb)

Zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Frau gibt es verschiedene Regeln für die Brautgabe. Aber die Heiligkeit der Ehe selbst ist größer als alle wirtschaftlichen Interessen. Von allen erlaubten Dingen ist die Scheidung das bei Allah am meisten Verhasste. Wenn deswegen ein Bruch zwischen Mann und Frau durch wirtschaftliche Rücksichtnahme vermieden werden kann, ist es besser, Zugeständnisse zu machen, als die Zukunft der Frau, der Kinder und auch des Mannes aufs Spiel zu setzen. Angesichts der Besitzgier des unerzogenen Menschen sind solche Zugeständnisse erlaubt, aber es wird empfohlen, Selbstbeherrschung zu üben und alles uns mögliche zu tun, um ohne wirtschaftliches Opfer seitens der Frau zu einer freundschaftlichen Lösung zu kommen. (Juusuf 'Allii)

316. Verhaltet euch euren Frauen gegenüber freundlich und zwingt sie nicht zu Zugeständnissen, und fürchtet Allah, wenn ihr euren Pflichten nicht nachkommt. (Darjabaadi)

Gute Taten sind schließlich die Dinge von denen alles abhängt. Davon geht nichts verloren, denn Allah kennt alles, was jede Seele tut. (Qutb)

 

129. Und ihr werdet niemals Gerechtigkeit üben können unter den Frauen,317 auch wenn ihr es noch so sehr wünscht.318 Doch wendet euch nicht (von einer eurer Frauen) ganz und gar ab, so dass ihr sie gleichsam in der Schwebe lässt. Und wenn ihr euch versöhnt und mutaqi seid, dann ist Allah wahrlich verzeihend, barmherzig.319

317. Dies bezieht sich auf den Fall, dass ein Mann mehr als eine Frau hat -die Erlaubnis hierzu ist dadurch bedingt, dass er bereit und in der Lage ist, sie gerecht zu behandeln, wie aus Aja 3 dieser Suura hervorgeht. Da ein Mann, der sich voll seiner moralischen Verantwortung bewusst ist, das Gefühl haben kann, er begehe eine Sünde, wenn er eine seiner Frauen mehr liebt als die andere (oder anderen), bildet dieser Aja eine "rechtliche Erleichterung" diesbezüglich, indem er erklärt, dass Gefühle nicht der menschlichen Kontrolle unterliegen, mit anderen Worten, dass sich die geforderte Gleichbe­handlung nur auf das äußerliche Verhalten eines Mannes gegenüber seinen Frauen bezieht. Angesichts der Tatsache, dass das Verhalten eines Menschen anderen gegenüber auf lange Sicht fast unweigerlich von seinen Gefühlen ihnen gegenüber beeinflusst wird, bedeutet dieser Aja -in Verbindung mit Aja 3 besonders seinem Schlusssatz -eine moralische Einschränkung der Mehrehe. (Asad)

318. Es ist nicht möglich, auch in Liebe und Zuneigung gerecht zu sein, da diese Gefühle unfreiwillig sind und sich der mensch­lichen Kontrolle entziehen. (Darjabaadi)

319. In dieser materiellen Welt gibt es zwei Hauptgründe für Differenzen zwischen Mann und Frau, nämlich Geld und "die andere Frau" oder "der andere Mann". Geld wurde im letzten Aja abgehandelt. Hier geht es um "die andere Frau". die Bedingung für die Mehrehe, sich allen Frauen gegenüber gerecht zu verhalten, ist fast unmöglich zu erfüllen. Wenn ein Mann sich -in der Hoffnung, diese Bedingung zu erfüllen, -in diese unmögliche Situation bringt, dann ist es nur recht und billig, darauf zu bestehen, dass er nicht eine Frau vernachlässigt, sondern wenigsten seine äußerlichen Pflichten ihr gegenüber erfüllt. (Juusuf 'Allii)

Tirmisi berichtet, dass der Prophet, Allahs Segen und Frieden auf ihm, ungerechte Ehemänner, die sich ausschließlich einer ihrer Frauen zuwandten, streng zurechtwies. Er soll gesagt haben: "Wenn jemand zwei Frauen hat und sich nur einer von ihnen zuwendet, dann kommt er am Tag der Auferstehung mit einer gelähmten Körperhälfte." (Siddiqi)

 

130. Und wenn sie (in Zwietracht verfallen und) sich trennen,320 wird Allah jeden aus Seiner Fülle zur Genüge versor­gen.321 Und Allah ist allumfassend, weise.

320. Wenn sie sich trennen, nämlich in rechtlich einwandfreier Weise, nachdem alle Versöhnungsversuche fehlgeschlagen sind. (Darjabaadi)

Wenn keine Versöhnung mehr möglich ist und es in den Seelen der Eheleute keine Gemeinsamkeiten mehr haben, ist Trennung ein erlaubter Ausweg. Der Islam bindet Eheleute nicht mit Ketten aneinander, sondern mit Liebe, Bannherzigkeit, oder mit Höflichkeit und Pflicht. Wenn diese sich erschöpft haben, befiehlt er ihnen nicht, in einem Gefängnis des Hasses und der Abscheu zu bleiben oder ihre innerliche Trennung durch den äußeren Anschein zu überdecken. (Qutb)

321. Das heißt, Er segnet den benachteiligten Partner entweder mit einem besseren Ehegefährten oder mit Seelenruhe. (Darjabaadi)

 

131. Und Allah gehört, was in den Himmeln und auf Erden ist.322 Und Wir haben bereits den Besitzern der Schrift vor euch und euch (Muslimen) aufgetragen, dass ihr Allah fürchten sollt. Und wenn ihr aber undankbar seid, so (bedenkt, dass) Allah wahrlich gehört, was in den Himmeln und auf Erden ist. Und Allah ist Sich Selbst genügend,323 des Lobes würdig.

322. Oft wird im Qur’an im Anschluss an Vorschriften, Gebote oder Verbote festgestellt, dass Allah gehört, was im Himmel und auf Erden ist, oder dass Er die Herrschaft über Himmel und Erden besitzt. Beide Eigenschaften sind untrennbar. Denn der Besitzer hat die Macht über sein Reich und hat die Befehlsgewalt über alle, die sich in seinem Machtbereich befinden. Allah ist der König, und somit besitzt Er als einziger die Macht, für die Menschen Gesetze zu erlassen. (Qutb)

"Allah gehören alle Dinge im Himmel und auf Erden" wird dreimal wiederholt, jedes Mal mit einer anderen Bedeutung. Beim erstenmal folgt es einer Aussage über Allahs allumfassende Fürsorge und Liebe. Wenn zwei Menschen trotz ihres aufrichtigen Wunsches, einander zu lieben und füreinander zu sorgen, ihr Ziel nicht erreichen können und sich trennen müssen, so lässt sie doch nicht Allahs Fürsorge im Stich, denn Er ist Herr aller Dinge. Im zweiten Fall ist diese Aussage mit Allahs Freiheit, Absolutheit und Unabhängigkeit von allen Geschöpfen verbunden: Seine Gebote sind zu unserem Besten, und Er gebietet allen Seinen Geschöpfen entsprechend ihren Fähigkeiten. Im dritten Fall bezieht sie sich auf Seine allumfassende Macht: denn ohne selbst einen Verlust zu erleiden, könnte Er Einzelpersonen oder Nationen vernichten und neue erschaffen; aber Er gibt allen immer wieder eine Chance und belohnt sie über ihr eigenes Streben hinaus. (Juusuf 'Allii)

323. Allahs Existenz ist absolut. Sie hängt nicht von irgendeiner anderen Person oder etwas anderem ab. Dieser Punkt muss betont werden, um zu zeigen, dass das moralische Gesetz des Menschen nicht einfach den Grundbedürfnissen der Menschheit selbst basiert. Wenn daher solche Denkrichtungen wie der Behaviorismus in der Psychologie ihre Theorien bis ins letzte beweisen, dann tut dies dem islamischen Standpunkt keinen Abbruch. Der Islam setzt die höchsten ethischen Wertmaßstä­be, nicht als dogmatische Imperative, sondern weil sie nachweislich aus der Natur des Menschen folgen und das Ergebnis menschlicher Erfahrung sind. (Juusuf ’Allii)

 

132. Und Allah gehört, was in den Himmeln und auf Erden ist. Und Allah genügt als Sachverwalter.324

324. Dies bezieht sich auf den nächsten Aja. Er braucht uns nicht, aber wir brauchen Ihn. Unsere Hoffnungen, unser Glück und unser Erfolg richten sich auf Ihn; Er aber genügt Sich Selbst. Er hat die Macht, uns durch andere Geschöpfe zu ersetzen, aber Seine Güte ist immer darauf bedacht, uns jede mögliche Chance zu geben, sowohl in dieser Welt, als auch im zukünftigen Leben. (Juusuf 'Allii)

 

133. Wenn Allah will, dann nimmt Er euch hinweg, O ihr Menschen, und lässt (statt euch) andere kommen.325 Und Allah hat die Macht dazu.

325. Er kann andere Geschöpfe und andere Völker hervorbringen, die Ihm dienen. Aus seiner Güte und Barmherzigkeit fordert Er uns jedoch immer wieder von neuem auf, Seine Gebote zu erfüllen und Sein Gesetz zu halten, allein zu unserem Besten. (Darjabaadi)

 

134. Wer Belohnung in dieser Welt haben will, (der soll bedenken) dass bei Allah die Belohnung dieser Welt und des Jenseits ist.326 Und Allah ist hörend, wohl sehend.

326. In diesem Leben kann der Mensch nur bis zu den Grenzen dieses Lebens sehen. Seine höchsten Ziele für seine Wünsche und Bestrebungen kann er nur in den Begriffen dieses Lebens erfassen. Aber Allah kann ihm nicht nur dies geben, sondern etwas unendlich viel Höheres -den Lohn des zukünftigen Lebens, um den sein Herz nicht einmal bitten und den sich seine Phantasie nicht einmal vorstellen konnte. (Juusuf 'Allii)

 

Abschnitt 20

135. O die ihr dem Imaan verinnerlicht habt! Seid standhaft in Sachen der Gerechtigkeit und Zeugen Allahs,327 auch wenn es gegen euch selbst oder eure Eltern oder nahe Verwandte sein sollte.328 Ob es sich um reich oder arm handelt,329 Allah ist ihnen ein besserer Beschützer. Und folgt nicht niederen Begierden,330 damit ihr gerecht handeln könnt. Und wenn ihr (die Wahrheit) verdreht oder um­geht,331 dann ist Allah wahrlich wohl vertraut mit dem, was ihr tut.

327. Die Mu’mins werden hier in einer neuen Eigenschaft aufgerufen. Ihr Geist, ihre Vorstellungen, ihre Ziele und Grundsätze entstehen neu, und damit auch die wichtige Aufgabe, die ihnen anvertraut wird, nämlich für die Menschlichkeit einzustehen und zwischen den Menschen gerecht zu entscheiden. (Qutb)

Gerechtigkeit ist Allahs Attribut, und sich für Gerechtigkeit einzusetzen bedeutet, ein Zeuge für Allah zu sein, selbst wenn es unseren eigenen Interessen (wie wir sie sehen) zuwiderläuft oder den Interessen derer, die uns nahe stehen. Ein lateinisches Sprichwort sagt: "Es geschehe Gerechtigkeit, auch wenn dabei der Himmel herunterfällt." Aber islamische Gerechtigkeit ist höher als die formale Gerechtigkeit des Römischen Rechts oder irgendeines anderen menschlichen Rechtssystems. Sie ist noch umfassender als die spitzfindige Gerechtigkeit in den Spekulationen der griechischen Philosophen. Sie betrifft die innersten Motivationen, denn wir sollen uns so verhalten, wie es unser Bewusstsein entspricht, dass wir uns in Allahs Gegenwart befinden, Der alle Motivationen, Handlungen und Dinge kennt. (Juusuf 'Allii)

Seid gerecht in jeder Handlung als Partei und in jedem Urteil als Richter. Und seid unbeeinflussbar als Zeugen vor Gericht. (Darjabaadi)

Ihr sollt nicht nur gerecht handeln, sondern euch für Gerechtigkeit einsetzen, indem ihr Ungerechtigkeit verhindert und stattdessen Recht und Gerechtigkeit verwirklicht. (Mauduudi)

328. Gerechtigkeit ist nicht für irdische Zwecke zu verwirklichen, sondern um Allahs Wohlgefallen zu erlangen. Keine irdischen Rücksichten sollten euch im Wege stehen. (Siddiqi)

Gerechtigkeit muss unter allen Umständen und auf jedem Gebiet verwirklicht werden. Unrecht und Unterdrückung müssen von der Erde entfernt und Gerechtigkeit zur Geltung gebracht werden, so dass jedem Menschen sein Recht zukommt, sei er Muslim oder Nichtmuslim. Denn in dieser Beziehung sind Muslime und Nichtmuslime vor Allah gleich.

Der Islam versucht hier das eigene Ich gegen sich selbst und seine Gefühle zu mobilisieren, seine Gefühle zunächst gegenüber dem eigenen Ich und dann gegenüber den Eltern und Verwandten. Dies in die Tat umzusetzen, ist viel schwieriger als man denkt. Und trotzdem wird die Seele dazu aufgerufen, diese Aufgabe zu übernehmen. Denn dieser Grundsatz muss Bestand haben auf der Erde, und es müssen Leute da sein, die mit dieser Aufgabe betraut werden. (Qutb)

329. Manch einer neigt vielleicht dazu, Reiche zu bevorzugen, weil er sich davon Vorteile verspricht. Manch einer mag dazu neigen, die Annen zu bevorzugen, weil sie im allgemeinen hilflos sind. Parteilichkeit ist aber in beiden Fällen falsch. Seid gerecht ohne Furcht oder Neigung. Sowohl Reiche als auch Arme stehen unter Allahs Schutz, was ihre legitimen Interessen betrifft; sie können jedoch nicht erwarten, auf Kosten anderer bevorzugt zu werden. Und Er kann ihre Interessen weit besser schützen als jeder Mensch. (Juusuf 'Allii)

330. Folgt nicht euren Neigungen und Vorurteilen. (Darjabaadi)

331. Zum eigenen Ich und zu Familie und Verwandten, Mitgefühl mit Annen und Schmeichelei oder Benachteiligung der Reichen im Falle einer Zeugenaussage oder Verurteilung ist auch niedrige Begierde; aber auch Parteilichkeit für Sippe, Stamm, Staat und Vaterland sowie Nationalismus. Allah verbietet den Mu’mins, sich von diesem allen leiten und von Recht und Wahrhaftigkeit ablenken zu lassen. (Qutb)

 

136. O die ihr den Imaan verinnerlicht habt! Verinnerlicht den Imaan an Allah und Seinen Gesandten und an die Schrift, die Er Seinem Gesandten offenbart hat und an die Schrift, die Er davor offen­bart hat.332 Und wer nicht an Allah den Imaan verinnerlicht und an Seine Engel333 und Seine Schriften334 und Seine Gesandten und an den Jüngsten Tag,335 der ist fürwahr weit in die Irre gegangen.

332. Bloßes Bekenntnis des an Allah genügt nicht. Gefordert wird aufrichtiger und ernster Imaan und die feste Entschlossenheit, allen Seinen Geboten zu gehorchen. (Siddiqi)

333. Da Allah Seine Offenbarung durch Wesen oder Kräfte, die als Engel bezeichnet werden, Seinen Gesandten übermittelt, ist der Imaan an die Engel mit dem Imaan and die Offenbarung verknüpft. (Asad)

334. Gemeint ist hier der Imaan an die Tatsache früherer Offenbarungen, nicht an die früher offenbarten Schriften in ihrer gegenwärtigen Form, die -wie im Qur’an mehrfach erwähnt wird -einer weitgehenden Entstellung der Urtexte zum Opfer gefallen sind. (Asad)

335. Wenn dein Imaan auf der Gewohnheit oder der Herkunft oder dem Beispiel derer beruht, die du liebst oder respektierst oder bewunderst, dann vertiefe diesen Imaan und machen ihn zu deiner persönlichen Angelegenheit. Wir sollen nicht nur sagen das wir Muslim sind, sondern diesen Imaan in unser Innerstes aufnehmen, und das geht nur wenn wir den Islam praktizieren.

Wir haben Imaan in erster Linie an Allah, Seine Gesandten und Seine Offenbarungen. All diesen müssen wir einen Platz in unseren Herzen geben. Die Engel können wir nicht sehen und nicht erfahren, wie wir Allah erfahren, Der uns näher ist als unsere Hauptschlagader, und der Tag des Gerichts ist eine Erfahrung, die uns erst in Zukunft bevorsteht, aber wir dürfen sie nicht leugnen, denn damit schneiden wir uns einen Teil unseres geistigen Weges ab. (Juusuf 'Allii)

 

137. Wahrlich, jene, die den Imaan verinnerlicht haben, dann kaafir wurden, dann (wieder) den Imaan verinnerlichten und (abermals) kaafir wurden,336 dann im Kufr (noch) zunahmen,337 denen wird Allah niemals verzeihen und die wird Er niemals auf den rechten Pfad leiten.338

336. Kufr ist von drei Arten: die erste besteht in offener Ablehnung des Islam, und die zweite darin, dass man sich zwar äußerlich zum Islam bekennt, ihn innerlich jedoch ablehnt. Die dritte Art besteht darin, die Gebote des Islam zu akzeptieren, wenn sie in die eigenen Zielsetzungen passen, sie aber zu ignorieren, wenn man sie für die eigenen Interessen nicht als nützlich empfindet. (Siddiqi)

337. Wörtlich: "die in der Ablehnung der Wahrheit zunehmen". (Asad)

338. Wer ständig seine Loyalität wechselt, kann niemals wirklichen Imaan gehabt haben. Das Motiv hierzu ist bloß irdisches Doppelspiel. Wie können solche Menschen Allahs Vergebung erwarten?

Dies ist eine deutliche Warnung für allen, die ihre Religion zu einer Sache weltlicher Annehmlichkeit machen. Wahre Religion reicht viel tiefer. Sie verringert das ganze Wesen des Menschen. Nach einer solchen Veränderung ist es unmöglich für ihn, zu etwas anderem überzuwechseln, so wie es für Licht unmöglich ist, zu Dunkelheit zu werden. (Juusuf ’Allii)

 

138. Verkünde339 den Heuchlern, dass ihnen schmerzliche Strafe zuteil wird,

339. "Tabschir" wird normalerweise bezüglich einer Nachricht benutzt, die den Menschen erfreut (Frohe Botschaft), aber gelegent­lich auch zur Ankündigung eines Ereignisses, das den Menschen deprimiert. Das Verb baschir (im Imperativ) ist hier ironisch genutzt. (Siddiqi)

 

139. Jenen, die sich die Kaafirs zu engen Vertrauten340 nehmen anstelle der Mu’mins. Suchen sie etwa Ehre (und Ansehen)341 bei ihnen? Doch wahrlich, alle Ehre und Macht ist bei Allah.342

340. Vergleiche Suura 3:28. Der Begriff "Verbündete" (Aulija', Singular wall) bezeichnet jedoch in diesem Zusammenhang nicht nur politische Verbündete. Er bezieht sich in erster Linie auf "den moralischen Zusammenschluss" mit denen, die die Wahrheit ablehnen: das heißt, auf Anpassung an ihre Lebensweise statt der Lebensweise wahrer Mu’mins, in der Hoffnung, "geachtet" oder als Gleiche akzeptiert zu werden. Da eine Imitation der Lebensweise erklärter Kaafir mit den von Imaan geforderten moralischen Grundsätzen in Konflikt kommen muss, führt dies unvermeid­lich zu einem allmählichen Abbau dieser Grundsätze. (Asad)

341. Wenn der Grund für solches Verhalten irgendein Vorteil oder persönliches Ansehen ist -die wahre Quelle für dieses alles ist Allah. Wie kann man so etwas von Menschen erwarten, die die Religion ablehnen. Und wenn es nach außen hin ein bisschen irdisches Ansehen gibt, was ist das wert im Gegensatz zu der Verachtung, die es in der geistigen Welt einbringt? (Juusuf 'Allii)

342. Es gibt entweder die Anbetung Allahs, die voll Würde, Ehre und Freiheit ist, oder die Unterwerfung unter Allahs Diener mit all der Verachtung, Entwürdigung und Versklavung. Und wer will, kann wählen. (Qutb)

 

140. Er hat euch bereits in der Schrift offenbart: Wenn ihr hört, dass die Zeichen Allahs geleugnet werden und dass über sie gespottet wird,343 dann sollt ihr nicht mit ihnen sitzen, ehe sie nicht zu einem anderen Gespräch übergehen,344 denn sonst wärt ihr wie sie.345 Wahrlich, Allah wird die Heuchler und die Kaafirs allesamt in der Hölle zusammenführen,

343. Vergleiche 6:68, der früher in Mekka offenbart wurde. Wenn wir erleben, dass die Wahrheit geringschätzig gehandelt wird, dann sollten wir Protest einlegen und uns aus solcher Gesellschaft zurückziehen, nicht aus Arroganz, weil wir uns selbst für andere Menschen überlegen halten, sondern aus wirklicher Demut, damit nicht unser eigener Charakter in solcher Gesellschaft entartet. Es ist jedoch auch möglich, dass unser Protest oder unsere aufrichtig gemeinten Einwände ihr Gesprächsthema ändern. In diesem Falle haben wir den Menschen Gutes getan, die dazu neigten, die Wahrheit gering zu­ schätzen, indem wir sie davor bewahrt haben, sich lächerlich zu machen. (Juusuf 'Allii)

344. Wörtlich: "Sitzt nicht mit ihnen, bis sie ein anderes Gespräch als dieses beginnen".(Asad)

Wer hört, dass seine Religion in einer Gesellschaft ins Lächerliche gezogen wird, soll sie entweder verteidigen oder diese Gesellschaft meiden. Ein Wegsehen oder gar Schweigen ist die erste Phase der Kapitulation. (Qutb)

345. Wer sich in Gesellschaft von Menschen aufhält, die Allahs Offenbarung lächerlich machen, und diesem stillschweigend zuhört, der wird zum Teilhaber an diesen Kufr. In diesem Falle bleibt wenig Unterschied zwischen ihm und den Kaafir. (Mauduudi)

 

141. Diejenigen, die euch abwartend belauern. Und wenn euch ein Sieg von Allah zuteil wird, sagen sie: "Waren wir nicht mit euch?" Wenn aber den Kaafir ein Anteil (an Gutem) zufällt,346 sagen sie: "Haben wir nicht Macht über euch erlangt und euch vor den Mu’mins beschützt?"347 Doch Allah wird zwischen euch richten am Tag der Auferstehung. Und Allah wir den Kaafir niemals den Weg (zum Triumph) über die Mu’mins ebnen.348

346. Ein Heuchler hat keine Grundsätze, er ist durch und durch ein Opportunist und immer auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Im Konfliktfall zwischen Gut und Böse ist seine Aufmerksamkeit auf materielle Interessen gerichtet. Er beobachtet die Tendenz des Konflikts und wartet das Ergebnis ab. Wenn das Gute zu siegen scheint, dann bringt sich der Heuchler mit salbungs­vollen Worten auf seine Seite und beansprucht einen Großteil des Verdienstes für sich selbst. Wenn die Waage nur zur anderen Seite neigt, versucht er den Kräften des Bösen seine Loyalität zu versichern. (Siddiqi)

347. Die Heuchler profitieren von dem zeitweiligen Erfolg der Götzendiener, indem sie zu ihnen sagten: "Wir waren absichtlich auf der Seite der Muslime, um euch zu schützen, als sie euch überwältigen wollten." (Darjabaadi)

Wörtlich: "Haben wir nicht Überhand bekommen über euch und euch gegen die Mu’mins verteidigt?" Der Begriff "Mu’min" hat hier offensichtlich eine sarkastische Bedeutung. (Asad)

348. Diese Verkündigung hat selbstverständlich rein geistige Bedeutung und bezieht sich nicht notwendigerweise auf die Wechselfalle des Lebens -denn (wie gerade dieser Aja hervorhebt) "wer die Wahrheit ablehnt", kann gelegentlich "Glück haben", das heißt, zeitliche Überlegenheit über die Mu’mins gewinnen. (Asad)

Die Ursachen und Methoden der Heuchelei werden hier gründlich bloßgelegt. Sie hat keine Grundsätze, sondern wartet eine Gelegenheit ab, jedes Ereignis zum eigenen Vorteil auszunutzen. Wenn zwei unvereinbare Prinzipien in Konflikt geraten, glaubt sie an keins von beiden und wartet das Ergebnis ab. In dieser Welt findet ein endloser Kampf zwischen Gut und Böse statt. Aber die Zeit für die Abrechnung der Heuchler kommt unvermeidlich. Denn das Gute muss letztendlich siegen. (Juusuf 'Allii)

 

Abschnitt 21

142. Wahrlich, die Heuchler versuchen Allah zu täuschen,349 aber Er lässt sie sich selbst täuschen.350 Und wenn sie das Gebet verrichten, verrichten sie es ohne Ernsthaftigkeit, (nur) um von den Menschen gesehen zu werden,351 und sie gedenken Allahs nur ganz wenig.352

349. Die Heuchler versuchen, den Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, zu betrügen. Da aber der Prophet, Allahs Segen und Frieden auf ihm, Allah vertritt, zielen alle Verschwörungen gegen ihn darauf ab, Allahs Religion Schaden zuzufügen. (Siddiqi)

Nämlich durch das Lippenbekenntnis, während sie ihre innere Ablehnung und Abwehr unterdrücken. (Darjabaadi)

350. Das ist ein Trost für die mu’min Menschen. Denn diese wissen, dass Allah nicht getäuscht werden kann, denn Er kennt das Geheime und Verborgene. Sie wissen auch, dass wer Allah täuschen will, außerordentlich böse, unwissend und unachtsam sein muss. (Qutb)

Einige Kommentatoren (beispielsweise Rasi) verstehen den Satz "huwa hadi 'uhum" وَهُوَ خَادِعُهُمْ  (wörtlich: "Er ist ihr Überlister") als "Er wird ihnen ihrer Täuschung vergelten". Mir scheint jedoch die Formulierung "Er lässt sie sich selbst täuschen" mehr mit Suura 2:9 überein zustimmen, wo von der gleichen Art von Heuchelei die Rede ist. (Asad)

Er wird sie täuschen, indem Er zulässt, das sie in ihrem Irrtum weiter gehen, ohne sie durch ein Unglück aufzuwecken oder zu warnen. Er lässt sie auf ihrem Irrweg, bis sie in die Tiefe hineinfallen. Dies ist die Täuschung Allahs. Viele Heimsuchungen und Unglücke erweisen sich als eine Gnade Allahs, denn wenn sie Allahs Diener treffen, bringen sie sie schnellstens vom Irrtum ab. Oder sie lernen daraus, was ihnen zuvor nicht bekannt war. Und oft sind Gesundheit und Wohlstand eine Verlockung für Sünder und Irregehende, denn sie haben es verdient, dass sie nicht auf ihr böses Ende aufmerksam gemacht werden. (Qutb)

351. Sie beten nicht aus dem Verlangen heraus, Allah zu begegnen, vor Ihm zu stehen, mit Ihm in Verbindung zu bleiben und Ihm um Hilfe anzurufen, sondern um von den Menschen gesehen zu werden.

Somit richten sie sich träge zum Gebet auf, als ob sie eine schwere Arbeit zu verrichten hätten. Und sie gedenken Allah nur ganz wenig, weil sie mehr an die Menschen denken als an Allah. (Qutb)

352. So wie das Gesicht der Spiegel der Seele ist, so ist das Gebet ein Spiegel für die Hingabe des Menschen an Allah. Zu Lebzeiten des Propheten, Allahs Segen und Frieden auf ihm, nahmen alle Muslime an den fünf täglichen gemeinsamen Gebeten teil. Deswegen haben sich auch die Heuchler diesen Gebeten angeschlossen, um den Muslimen ihre Anwesenheit zu demonstrieren. Aber die Art und Weise, wie sie beteten, zeigte deutlich dass sie es mit innerer Ablehnung taten. (Siddiqi)

 

143. Sie schwanken bin und her353 (und entscheiden sich) weder für die einen noch für die anderen. Und der, den Allah irregehen lässt,354 für den wirst du niemals einen Weg finden.355

353. Schwankend zwischen Imaan und Kufr. (Siddiqi)

354. Dies bedeutet nicht, dass Allah jemanden irreführt, sondern dass der Mensch, der in seinem Kufr so verstockt ist, dass weder die Lehren des Qur’an noch das vorbildliche Leben des Propheten -Friede sei mit ihm -ihn veranlassen können, die Wahrheit anzunehmen, seine Empfindsamkeit so abgestumpft und seine Verstandeskräfte so beeinträchtigt hat, dass ihm keine Möglichkeit mehr bleibt, den rechten Weg zu finden. (Siddiqi)

355. Wenn wir freiwillig und bewusst das Böse wählen und unsere Schuld durch Täuschung und Betrug vervielfachen, täuschen wir nicht Allah, sondern nur uns selbst. Wir schließen uns selbst aus Allahs Barmherzigkeit aus und beharren darauf, vom rechten Weg abzuirren. Wer kann uns unter diesen Umständen führen und leiten? Unsere wahren und richtigen Instinkte stumpfen ab; unsere Täuschung bringt unseren Charakter aus dem Gleichgewicht; wenn unsere Mitmenschen den Betrug aufdecken, verlieren wir alle Vorteile, die wir durch den Betrug gewonnen haben mögen; und wir werden innerlich sehr beunruhigt. (Juusuf 'Allii)

 

144. O die ihr den Imaan verinnerlicht habt! Nehmt euch nicht die Kaafir zu engen Freunden anstelle der Mu’mins. Wollt ihr etwa Allah einen offenkundigen Beweis gegen euch selbst geben?356

356. Dies ist eine Wiederholung des Aufrufs an die Mu’mins, sich davor in acht zu nehmen, den Weg der Heuchler zu gehen und sich den Kaafir anstelle der Mu’mins als Freunde anzuschließen. Diesen Aufruf hatte die islamische Gesellschaft zu dieser Zeit offenbar nötig, als noch enge Verbindungen zwischen einigen Muslimen und den Juden in Medina aufrecht erhalten wurden und auch solche zu ihren Verwandten unter den Quraischis, zumindest in psychologischem Sinne. Wir sagen absichtlich "einige Muslime", weil es andere gab, die jede Verbindung zu, der (feindlichen -d. Übers.) Gesellschaft der Unwissenden (Dschahelia) abgebrochen hatten, sogar zu den Eltern und Kindern. Sie machten das Bekenntnis zum einzigen Band des Zusammenhalts und der Zugehörigkeit, wie Allah sie gelehrt hatte. (Qutb)

Siehe auch 4: 139 mit Fußnote. (Asad)

 

145. Die Heuchler werden wahrlich in den tiefsten Tiefen des Feuers sein357 und keinen Helfer wirst du für sie finden,

357. Die tiefste Tiefe erreicht ein Mensch durch die Last des Irdischen, das an ihm klebt, so dass er sich nicht davon befreien und sich nicht erheben kann. Dazu gehören unter anderem Ambitionen und Wünsche, Habgier und Opportunismus sowie Schwäche und Trägheit. Diese Last erniedrigt sie so weit, dass sie Freundschaft mit Kaafir halten und den Mu’mins mit heuchlerischer Freundschaft begegnen. (Qutb)

Die äußerliche Anpassung der Heuchler, die ihre innere Ablehnung nur schlecht verbergen konnte, war gefährlicher als offene Feindseligkeit. (Darjabaadi)

 

146. Außer für diejenigen, die reuevoll um­kehren und sich bessern und an Allah festhalten und aufrichtig sind im Imaan an Allah.358 Diese sind es, die zu den Mu’mins zählen. Und Allah wird gewiss den Mu’mins gewaltigen Lohn gewähren.

358. Wenn sie ihre Heuchelei bereuen und in Zukunft nicht mehr versuchen, die Muslime zu betrügen. (Darjabaadi)

Selbst Heuchler können unter vier Bedingungen Vergebung erlangen:

1. aufrichtige Reue, die ihr Inneres reinigt;

2. Besserung ihres Verhaltens, wodurch ihr äußeres Leben gereinigt wird;

3. Standhaftigkeit und Ehrfurcht vor Allah, wodurch ihr Imaan gestärkt und sie von den Angriffen des Bösen geschützt werden;

4. Aufrichtigkeit in ihrer Religion und in ihrem ganzen inneren Wesen. (Juusuf 'Allii)

 

147. Wie sollte Allah euch Strafe aufer­legen,359 wenn ihr dankbar360 und mu’min seid? Und Allah ist erkennt­lich,361 wissend.

359. Hieraus geht deutlich hervor, dass die Attribute der Barmherzigkeit, Gnade und Liebe eng mit Seinem Wesen verbunden sind und dazugehören, während Seine vergeltende Gerechtigkeit nur durch die Werke des aufrührerischen Geschöpfes hervorgerufen wird. (Darjabaadi)

360. Dankbarkeit gegenüber Allah hat viele Aspekte: der Dankbare soll sich aufrichtig dessen bewusst sein, dass er Allah Dank für Seine unbegrenzten Wohltaten schuldet; er sollte seine Dankbarkeit in Worten zum Ausdruck bringen; er sollte durch seine Taten zeigen, dass er ein treuer und dankbarer Diener seines Herrn ist; er sollte vermeiden, durch Worte oder Taten den Zorn seines Wohltäters zu erregen.

Samachsari lenkt die Aufmerksamkeit der Leser auf einen ganz feinen Punkt. Allah hat nämlich nicht zufällig Dankbarkeit vor Imaan erwähnt. Wenn ein Mensch an sich selbst denkt, ist sein erstes Gefühl das der Dankbarkeit gegenüber Gott dafür, dass er lebt und eine "Seele" hat -ein Gefühl, das den Menschen zu der Erkenntnis bringt, dass diese Wohltat des Lebens und des Bewusstseins nicht zufällig oder selbstverständlich da ist, sondern die Barmherzigkeit des Schöpfers manifestiert. Und diese Erkenntnis führt den Menschen zum Imaan an Allah. (Siddiqi)

361. Gott findet kein Gefallen daran, Seine eigenen Geschöpfe zu bestrafen, über die Er mit liebender Fürsorge wacht. Im Gegenteil anerkennt Er alles Gute -wie geringfügig es auch sein mag -das Er in uns findet, und belohnt uns über jedes Maß hinaus. Seine Anerkennung für uns wird in einer kühnen Metapher mit unserer Dankbarkeit Ihm gegenüber für Seine Wohltaten verglichen. Der Name Schakir (der Dankbare) wird hier und in Suura 2:158 und anderen Abschnitten auf Allah angewandt. In Suura 16:121 wird Ibrahim as so bezeichnet: "Er zeigte seine Dankbarkeit für die Wohltaten Allahs, der ihn erwählte und auf den rechten Weg führte." (Juusuf 'Allii)

Allahs Bestrafung ist die Vergeltung für Verleugnung und Kufr. Die Strafandrohung ist dazu angetan, dass sie vielleicht zu Dankbarkeit und zum Imaan führt und ist keineswegs als Lust an der Strafe oder als Bekundung von Stärke und Macht zu verstehen. Allah ist hocherhaben über solche Regungen. Wenn man sich mit Dankbarkeit und Imaan vor der Strafe schützt, so ist Vergebung und Wohlwollen Allahs die Belohnung dafür und Sein Dank an Seinen Diener. (Qutb)